Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 25. Juni 1876
Zürich, dℓ. 25. Juni 76
Hochverehrter Herr Professor!
Endlich kann ich Ihnen die Nachricht geben, daß die Untersuchungen über Spongien abgeschlossen sind u. die Arbeit in Bälde druckfertig wird. Die Tafeln sind fertig, theils mit möglichster Treue nach dem Leben gezeichnet, theils nach Präparaten mit der Camera lucida entworfen.
Von Anfang an habe ich mich von der naturgetreuen Darstellung von FranzEilhardSchultze überzeugen können.
In Betreff der Entwicklungsgeschichte ist seine Darstellung bis zur Vollendung der Gastrula correct. Ich habe Alles mit dem größten Mißtrauen u. Vorsicht angesehen, um vor Täuschungen sicher zu sein, weil Oscar Schmidt so bestimmt widerspricht. Aber wenn er sich auf Schultze’s Präparate stützt, welche in Straßburg das Vehmgericht passiren mußten, so habe ich mich am lebenden Material so oft von der Bildungweise im Schultze’schen Sinn überzeugen müssen, daß ich den Straßburgern hier mit Nachdruck entgegentreten muß. Vollends Götte’s Behauptung, in der „Körnchenballenhälfte“ || der noch nicht invaginirten Larve Nadeln gefunden zu haben, kann ich nur als eine Ente betrachten.
Mit der Entstehung des vermeintlichen Mesoderm an der Larve im Momente der Fixirung kann ich mich dagegen nicht mit Schultze einverstanden erklären. Sein Plattenepithel der Spongien existirt nicht, aber ich begreife, wie er dazu kam. Zum Ueberfluß habe ich noch das Epithel der Medusen vergleichsweise untersucht.
Die allmählige Entstehung seines Mesoderms an der Larve beruht auf einer ganz scharfen Beobachtung, aber das Bild muß anders gedeutet werden – es ist der beginnende Verschmelzungsprozeß des Larvenektoderms zum bleibenden Syncytium.
Nun hätte ich eine große Bitte. Meine Resultatea möchte ich gerne Engelmann in Leipzig in Verlag geben u. die Tafeln möglichst sorgfältig b ausführen lassen. Freilich wird dabei noch ziemlich zu zahlen sein, allein Geld hiefür findet sich schon. Da Sie zu Engelmann in Beziehung stehen, so wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn durch Ihre gütige Vermittlung ich an diesen Verleger gelangen könnte || vielleicht zu nicht allzu rigorosen Bedingungen. Es liegt mir daran, einmal die Resultate sobald als möglich zu publiziren, sodann sind es locale Gründe, warum ich gerade diese Arbeit möglichst gut ausstatten lassen will.
Es spitzen sich nämlich hier in Zürich die Dinge zwischen Frey u. c mir fortwährend schärfer zu.
Der alte „Spinnefritz“ wie er hier genannt wird, ist immer ärgerlicher, daß ich meinen Anhang habe u. mich ihm gegenüber behaupten kann.
Gelegentlich sucht er auf raffinirte Weise den Teufel zu spielen u. könnte ich Ihnen hierüber pikante Details erzählen. Aber ebenso consequent habe ich den routinirten Bauernfänger heimgeschickt. Ich habe einmal den Handschuh aufgenommen u. mich bis jetzt unverdrossen gewehrt.
Aber für die Zukunft soll diesen Chicanen ein für allemal ein Ende gemacht werden. Ich kann meine Zeit zu Besserm benutzen, als fortwährend die Maulwurfsgänge des Alten aufzudecken. Wir sind gegenseitig auf dem Punct angelangt, wo es heißt Aut – Aut.
So ein Bischen den Alten „rudolfwagnern“ wäre nicht übel, oft zuckts in allen || Gliedern, aber einstweilen mag die Feder noch ruhen – es hat sich d ein einfaches u. friedliches Mittel gefunden. Ich werde nicht ruhen, bis er mir auf dem Kampfplatze eines geistigen Duells bleibt. Sie werden Ihren Spaß haben an meiner kriegerischen Stimmung – ich denke indessen, Sie kennen das!
Als Neuigkeit kann ich noch erwähnen, daß wir in Zürich zu den vorhandenen noch einen neuen Zoologen bekommen. Die sogenannten Evangelischen haben einen fleißigen u. eifrigen jungen Mann Naturwissenschaften studiren lassen. Seit einem Jahr arbeitet er speziell bei Frey u. wird sich habilitiren. Damit wird in Zürich eine wesentliche Lücke ausgefüllt – indem evangelische Zoologie bis jetzt noch nicht vertreten war! Frey wird ihn speziell protegiren u. ist gesonnen, ihm ein Colleg zu überlassen!
Ich darf annehmen, daß Sie mir zu dieser Collegenschaft recht herzlich gratuliren u. damit grüße ich Sie aufs Beste mit alter Ergebenheit
Ihr hochachtungsvoller
C.Keller
Bitte Sie, die Herrn Dr.Teuscher u. Hertwig bestens zu grüßen.
a korr. aus: Resultaten; b gestr.: zu zahl; c gestr.: mehr; d gestr.: ein