Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 30. Dezember 1875
Zürich, dℓ. 30. Dec. 75.
Hochverehrter Herr Professor
Herr Geheimer Hofrath Rudolf Wagner, der fromm u. gottesfürchtig gelebt u. dann als christlicher Dulder zu seinen Vätern gegangen, ist seinerzeit von Karl Vogt unerbittlich secirt wordena, aber es war doch nur eine leichte Balgerei, wenn [ich] die wuchtige u. doch so feine, ganz vollendete Art betrachte, wie Sie diesmal Ihre Gegner heimgeschickt haben. Von meinen Schülern durchflog einer nach dem andern die Broschüre waren erst ganz verdutzt bis schließlich ein förmlicher Jubel von allen Seiten folgte. Prof. Eberth, dessen Grüße ich Ihnen bei dieser Gelegenheit übersende, ist eine so ruhige Natur, aber dießmal wurde er so von Ihrer Schlagfertigkeit gepackt, daß ich über sein verändertes Naturell in gelindes Staunen versetzt wurde.
Ich muß Ihnen gestehen, ich sah nicht ohne Besorgniß nach u. nach eine geschlossene Phalanx gegen Sie heranrücken – es wurde mir etwas wohler als Gegenbaur mit einigen Blitzen das reinigende Gewitter ankündigte – jetzt nachdem Sie als deus ex machina Ihre Gegner derart in den Staub gestreckt – dürfte im Lager der Opposition ein gewaltiger wissenschaftlicher Katzenjammer wohl unausbleiblich sein. ||
Der arme Götte! Seine Unke zermalmt! Er hat sich für sein Leben langb in diesem Strauß ein blaues Auge geholt. Sein Typus schien mir mehr der des Naiven zu sein wird wohl für immer von solchen Naivitäten curirt sein.
Und His! Sie zerschellen ihm die Glieder seine so hübsch ausstaffirten Theorienpuppe derart, daß kein Gypsverband dieselben mehr zusammenleimt, selbst wenn er als Bandage seinen etwaigen Vorrath von Gummischläuchen verwendet. Alle seine „Briefe“ in Fetzen zerzaust, was soll er nun mit den „Couverts“ anfangen?
Daß sie auch die „Gründerin“ von Agassiz in ihrer wahren Gestalt entblößt haben, danke ich Ihnen trotz aller Landsmannschaft.
Ich bewundere den Muth, womit Sie in diese Professorenwirthschaft hineingezündet haben – habe ich doch auch in Zürich seinerzeit dieselbe kennen gelernt, aber auch rücksichtslos gebrandmarkt.
Ich glaube, daß Ihre Schrift den entscheidenden Schlag geführt hat, es bedurfte eines solchen, um einer gedankenlosen Schule der Naturforschung einmal den Garaus zu machen. ||
Selbst manche von Ihren Anhängern werden vielleicht die Form nicht billigen – ich halte dafür, daß bei dem mangelhaften intellectuellen Entwicklungszustande der Opposition keine andere Form gewirkt hätte, als gerade diese. Ich gratulire Ihnen aufrichtig u. mit Freuden zu dieser entscheidenden Schrift u. danke Ihnen herzlich für deren gütige Uebersendung. Hier in Zürich bin ich mit dem Gang der Dinge sehr zufrieden.
Vorlesungen u. Curs werden in erfreulicher Weise besucht; in meinem kleinen Laboratorium arbeiten diesen Winter bereits 17 Practicanden. Ich arbeite jetzt nach Kräften, ein größeres Laboratorium zu bekommen und die Aussichten hiefür sind günstig.
Es bedurfte allerdings reiche Anstrengungen, um einen ordentlichen Cursus einrichten zu können – Alles mußte erst geschaffen werden u. dank der fortwährenden Unterstützung der Behörde bin ich endlich eingerichtet. Seit einem Jahr bin ich leider von diesen Zurüstungen völlig absorbirt gewesen, ich schätze mich glücklich, daß ich bald wieder zum selbstständigen Arbeiten komme. Im März hoffe ich an die Mittelmeerküste zu gehen u. möchte mit der Entwicklungsgeschichte der Spongien zu weitern Resultaten gelangen. Im Herbst hatte ich in diesem Puncte kein Glück. Eine zahlreiche Fauna von Calcispongien, aber nur einige Exemplare von Sycon elegans mit Embryonen. Es scheint mir, daß Frühjahr || die richtige Zeit hiefür ist. Kürzlich wollte ich Ihnen eine kleinere Arbeit für die Jenaer Zeitschrift zum Drucke übersenden. Seit mehreren Wochen hatte ich mit Eosin gearbeitet u. darin ein ganz brillantes Hülfsmittel für die histologische Technik gefunden. Wie ich die Arbeit abgeschlossen, kommt die neueste Nummer von Schultzes Archiv u. bringt darüber von Fischer in Strassburg einen Artikel!
Ich schließe mit den besten Glückswünschen fürs neue Jahr, das auch für Ihre Ideen einen mächtigen Fortschritt in der Verbreitung bringen möge.
Ich verbleibe mit den besten Grüßen in steter Verehrung
Ihr ergebener
Dr. C.Keller
a eingef.: worden; b eingef.: lang