Otto Hamann an Ernst Haeckel, Göttingen, 30. Dezember 1884
Goettingen 30. Dez. 84.
Hochverehrtester Herr Professor,
Leider kann ich nicht, wie ich mir fest vorgenommen hatte, persönlich meine Glückwünsche überbringen, da ich aus mancherlei Gründen hier bleiben muss.
Meine Frau schließt sich meinen Wünschen an und lässt sich Ihrer Frau Gemalin empfehlen! Wir wünschen Ihnen, Herr Professor, mit Ihrer verehrten Frau Gemalin und Kindern ein rechta gesundes neues || Jar! –
Das alte Jar hat uns manche Enttäuschungen gebracht. Es werden immer weniger Studenten und die Collegs immer leerer. Freilich auch den Trost haben wir jetzt, dass es noch schlimmer kaum werden kann. Seit vier Semestern ist die Zal schrittweise gefallen und jetzt haben wir einen einzigen Anfänger im Institute! Dazu wird hier einen Unmasse von Kollegien gehalten. Es kommt vor, dass Studenten, welche ein Kolleg bezalt haben, nicht die Zeit finden können es zu besuchen. 2 Zuhörer von mir haben noch nicht einmal bis jetzt mein Kolleg besucht – aber bezalt. Der eine, ein Mediziner, hat soviele Stunden belegt, dass er niemals kommen kann! || Doch bin ich schon zufrieden gestellt, wenn die Leute zalen! –
Der früher bei Ihnen, Herr Professor, arbeitende Dr. Breitenbach lebt seit einem halben Jare hier. Bei ihm fanden sich zufällig Präparate von der Challengerreise (Radiolarien) vor, auf welche Sie mit eigener Hand Fundort und Tiefe angegeben haben. Mit anderen Sachen, die er im Institute eingestellt hatte, sind sie in unsere Hände gekommen. Ich denke er wird durch Schenkung die Präparate von Ihnen erhalten haben? Letzthin ist er zu 14 Tagen oder Geldstrafe wegen Widersetzlichkeit gegen Polizeibeamte, die ihn Skandales halber aus einer Wirtschaft entfernen wollten, verurteilt worden. Irgend || welchen Umgang kann man mit ihm nicht haben, er scheint etwas versumpft zu sein. – Wie ich von Dr. Walt[h]er erfaren habe, will derselbe zu Ostern nach Dorpat gehen. Ist denn schon an seine Stelle Jemand getreten?
Ich arbeite über die Asteriden noch immer. Da Ludwigs Arbeit teilweise zu oberflächlich, teilweise vieles nicht Richtiges enthält, habe ich die Anatomie nochmals gemacht und denke bis Ostern fertig zu sein. Auch die Entstehung der Geschlechtsorgane habe ich beobachten können. Ich hoffe, dass Sie meine Arbeit – was Ruhe in der Beobachtung und Darstellung anlangt – wenigstens in manchen Punkten befriedigen mag.
Ich bitte mich der Frau Gemalin zu empfehlen und bleibe in
bleibender Dankbarkeit
Ihr dankbarerer
Otto Hamann.
a korr. aus: rechtes