Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Schlederlohe, 19. August 1915

Schlederlohe Post Wolfratshausen

d. 19. August 1915.

Hochverehrter lieber Lehrer und Freund!

Ich habe lange nichts von mir hören lassen, weil ich in der Pfingstwoche am Typhus erkrankte. Es war keine typische Erkrankung, auch erreichte die Temperatur nur einmal 40°. Um so mehr hat sich die Krankheit in die Länge gezogen. Seit 8 Tagen schleiche ich im Haus und, wenn es das schauderhafte Wetter erlaubt, im Garten heruma, muß aber noch immer nach einigen Minuten mich setzen oder legen, da || die jämmerlichen Muskeln versagen.

Sonst geht es in meinerb Familie gut. Otto ist natürlich immer noch in Gefangenschaft. Offenbar hat ein Theil des Schrapnells ihm das Becken durchschlagen und einen auf dem Ileopsoas heruntergleitenden Abscess verursacht, der am Oberschenkel in gewohnter Weise zum Durchbruch kam. In einem Lazareth in Grenoble hat ein Prof. Bériol operativ einige Knochensplitter und ein 20 Gramm schweres Stück vom eisernen Schrapnellmantel entfernt. Das war am 19. Juli. Vom 7. August schreibt || mein Sohn, daß die Wunde sich jetzt allmählich schließt und daß er nun bald wieder nach Fort Barraux zurück gebracht werden würde. Daselbst ist er übrigens auch gut aufgehoben nebst 60 anderen gefangenen Offizieren. Das Fort liegt am Fuß der Grande Chartreuse, also in einer der schönsten Gegenden Frankreichs.

Einen großen Trost in diesen furchtbaren Zeiten bilden die glänzenden Waffenerfolge unserer herrlichen Truppen im Osten. Gestern gab uns die Nachricht von der Eroberung Kowno’s Ge-||legenheit unsere neue für Schlederlohe angeschaffte schwarz weiß rothe Fahne aufzuziehen. Vivat sequens! Vorraussichtlich Nowo Georgiewskc.

Wie freut es mich daß die elende italienische Bande sich an der festungsartig ausgebauten oesterreichischen Frontd die durch ihren gemeinen Verrath reichlich verdienten blutigen Schläge holt, desgleichen das verlogene England an den Dardanellen.

Hoffentlich lassen auch Sie bald einmal etwas von sich hören, wenn meine Wünsche etwas vermögen nur Gutes.

Viele herzliche Grüße von meiner Frau und Ihrem in alter Verehrung und Dankbarkeit Ihnen ergebenen

R. Hertwige

Es wird Sie interessiren zu hören daß Adolf Hildebrandt sich in Schlederlohe anbaut.f

a eingef.: herum; b korr. aus: in; c korr. aus: Georgieskw; d eingef.: oesterreichischen Front; e Text weiter am rechten Rand von S. 4: R. Hertwig; f Text weiter am oberen Rand von S. 4: Es wird … anbaut.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.08.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30542
ID
30542