Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 16. Februar 1915

München Schackstr. 2III d. 16. Februar 1915.

Hochverehrter und lieber Freund!

In der Aufregung dieser sorgenvollen Zeiten habe ich gar nicht auf den Calender geachtet und werde erst heute Abend gewahr, daß wir a den 16. Februar 1915 schreiben, den Tag an welchem Sie Ihr 81 Lebensjahr vollenden. So kann ich nicht einmal mehr telegraphiren, ohne zu befürchten Ihre Nachtruhe zu stören. Auch glaube ich, daß Ihnen ein um einen Tag verzögerter Brief lieber ist als eine rechtzeitig eintreffende Depesche.

Was soll ich Ihnen wünschen? Das ist die-|| dieses Jahr nicht schwer, in dem Alles Sehnen und Trachten der Vaterlandsfreude sich in dem einen Wunsch zusammenfassen läßt, daß unser heiß geliebtes Deutschland aus diesem furchtbaren Krieg siegreich und zu neuer Kulturarbeit gekräftigt hervorgehen möge. Und so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, daß es Ihnen vergönnt sein möge, den Tag zu erleben, an welchem unser siegreiches Heer wieder in die Heimath zurückkehrt, und sich noch lange mit der Ihnen eigenen geistigen Frischeb des Aufschwungs zu erfreuen, den dann unser geistiges und werthschaffendes Leben nehmen wird. Die glorreichen Siege, welche in diesen Tagen die deutschen Waffen über die Russen erfechten und hoffentlich den Zusammenbruch des thörnernen Kolosses einleiten, werden für Sie || die schönste Geburtstagsfreude sein.

Ich versuche immer wieder wissenschaftlich zu arbeiten, werde aber immer wieder durch politische Dinge (Correspondenzen und Besprechungen) abgelenkt. Ich habe viel nach Rumänien, Italien und America geschrieben. In America ist mein früherer Assistent Prof. Goldschmidt, Abtheilungsvorstand am Kaiser-Wilhelm-Institut für experimentelle Biologie, durch den Krieg zurückgehalten. Ich versorge ihn von hier aus mit Material. Auch nach Holland an van Wijhe habe ich geschrieben. Leider bekommt man viel Unerfreuliches zu hören. Wundervoll ist die Stellungnahme von Retzius und Grassi.

Mein Sohn Otto ist immer noch in Fort Barraux. Wir hatten schon gehofft, daß er geheilt sei, nach-||dem ihm in Chambéry einige Knochenstücke vom linkenc Tuber ischii und in Fort Barraux ein Schrapnellstück aus der Gegend des rechten Knies operativ entfernt worden waren. Da meldet uns der letzte Brief, daß ein aufgeschnittener Abscess am linken Oberschenkel nicht heilen will. Offenbar sitzt da auch noch ein Fremdkörper. In Frankreich scheint es mit den Röntgenapparaten schlecht bestellt zu sein.

Hoffentlich lassen Sie, wenn die Tage der Geburtstagsfeier gut überstanden sind, wieder einmal etwas von sich hören. Möge es Ihnen möglich sein, dann Gutes über sich und Ihre liebe Frau zu berichten. Letztere bitte ich herzlichst von mir zu grüßen.

Mit besten Glückwünschen auch von meiner Frau

Ihr in alter Dankbarkeit und

Verehrung ergebener

R. Hertwig

a gestr.: heute; b eingef.: mit der Ihnen eigenen geistigen Frische; c eingef.: linken

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30540
ID
30540