Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 17. Mai 1911
PROFESSOR DR. RICHARD HERTWIG
MÜNCHEN, DEN 17. Mai 1911.
SCHACKSTR. 2/3
Hochverehrter lieber Freund!
Heute lese ich in der Zeitung von dem Unfall, den Sie gehabt haben. Ich möchte Ihnen meine herzliche Theilnahme aussprechen und zugleich wünschen, daß Ihnen der Beinbruch nicht allzu große Schmerzen bereite und Sie nicht zu lang an das Krankenlager fesseln möge. Hoffentlich erhalte ich bald günstige Nachrichten. Auch meine || Frau schließt sich meinen Wünschen auf das herzlichste an.
Ich seufze unter der Last des Rectorats. Die Arbeiten sind so umfangreich und mannichfaltig, daß ein sehr großer Theil meiner Zeit durch sie absorbirt wird. Was nach Abzug derselben und desa Zeitaufwands für Institut, Sammlung und Unterricht übrig bleibt, ist kaum der Rede werth. Ich fühle mich daher häufig sehr beschränkt, daß ich wissenschaftlich so gänzlich brach liegen muß.
Heute Nachmittag besuchte ich mit einer || Anzahl anderer Herren und deren Frauen die Anlage unseres zoologischen Gartens, der am 5. Juli eröffnet werden soll. Emmanuel Seidl, der jüngere der beiden Architekten, hat die Anlage geschaffen; sie wird wundervoll werden. Hoffentlich gelingt es genügend Geld aufzubringen um das Project, von dem zunächst nur ein Theil ausgeführt wird, zu Ende zu bringen.
Wir haben hier aussergewöhnlich schwüles und schlaffes Wetter. Jeden Abend kommt ein Gewitter, oft von ganz aussergewöhnlicher Heftigkeit. Meine ohnehin sehr geringe Fähigkeit || Nachts zu schlafen b läßt mich immer mehr im Stich, so daß ich sehr gegen meinen Willen zeitweilig genöthigt bin, Schlafmittel zu nehmen.
Von Oscar höre ich nicht allzu viel. Seine vorübergehend nicht sehr günstige Gesundheit scheint sich gefestigt zu haben. Wenigstens theilte mir ein College mit, der ihn auf dem Anatomen-Tag gesehen hat, daß er recht gut aussehec.
Zum Schluß nochmals meine herzlichsten Wünsche für Ihr Wohlergehen
In alter Freundschaft und Verehrung
Ihr
R. Hertwig
a korr. aus: dem; b gestr.: geht; c korr. aus: aussehen