Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 21. Oktober 1894
München d. 21. Oct. 1894
Hochverehrter und lieber Freund!
Meiner Frau und mir hat es sehr Leid gethan, daß Sie sich durch das schlechte Wetter haben abhalten lassen nach Guarda zu kommen. Wir sind fest überzeugt, Ihnen würde die ländliche Stille und schöne Umgebung ebenso gut gefallen haben wie uns, die wir nur ungern gegen Ende September aufbrachten und nach Davos übersiedelten.
In Guarda, dann weiter in Davos und München habe ich einen großen Theil der Zeit mit Correcturen-lesen verbringen müssen. Heute ist nun die letzte Revision || des letzten Druckbogens aus dem Haus und in 8 Tagen wird die III. Auflage meines Lehrbuchs erscheinen. Ich werde Fischer mittheilen, daß er Ihnen in meinem Auftrag ein Exemplar zusendet.
Die Idee mit Frau und Kindern aufzubrechen und nach Teneriffa für den Winter überzusiedeln, habe ich auch viel hin und her erwogen, bin aber dabei zum Resultat gekommen, daß es besser ist für diesen Winter den Versuch mit Davos noch einmal fortzusetzen. Maaßgebend war dabei, daß in den 2½ Monaten, die ich zum Theil in Guarda zum Theil in Davos mit meiner Frau habe verleben können, eine langsame Besserung nicht zu verkennen war. Ich fürchtete, daß || eine Übersiedelung in das Tiefland und so gänzlich andere Verhältnisse die beginnende Heilung stören könne. Erfahrungsgemäß sind auch die Wintermonate in Davos bei Weitem die günstigste Zeit. Es scheint, als ob ich die rechte Entschließung getroffen habe. Seitdem ich aus Davosa fortbin, macht die Besserung im Husten große Fortschritte, so daß meine Frau sehr vergnügt schreibt.
Sollte wider Erwarten der Husten den nächsten Sommer überdauern, dann bin ich allerdings fest entschlossen, Urlaub zu nehmen und nach Teneriffa zu gehen. Auch für mich würde ein Meeraufenthalt im nächsten Winter viel günstiger sein. Ich könnte mich dann auf etwaige durch-||zuführende Untersuchungen besser vorbereiten.
Auf Zittel’s Rede bin ich gespannt. In Fragen der Descendenztheorie hat er eineb sehr schwankende Stellung. Seine Gefühle laufen da die ganze Scala von kalt, kühl, lau bis warm durch. Als er die Rede hielt, scheint er gerade auf „kalt“ angekommen zu sein. So vorzüglich Zittel in allen Detailfragen ist, so wenig ist er ein philosophischer Kopf. In allen allgemeinen Fragen ist er von einer merkwürdigen Unsicherheit und Bestimmbarkeit. Daher derc Wechsel seiner Meinungen.
Ich hoffe, daß es in Ihrer Familie wieder recht gut geht. Viele herzliche Grüße sendet Ihnen und Ihrer lieben Frau
in alter Treue und Anhänglichkeit
Ihr
Richard Hertwig.
a eingef.: aus Davos; b korr. aus: einen; c korr. aus: das