Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 23. Juli 1894
München d. 23. Juli 1894.
Hochverehrter u. lieber Freund!
Die Photographieen und Festschriften sind in meinen Besitz gelangt und an die einzelnen Adressen abgegeben worden. Für das mir zugedachte Exemplar bestens dankend füge ich noch hinzu, daß die famos ausgestattete Festschrift mir dauernd eine liebe Erinnerung an das so vorzüglich geglückte Fest sein wird. Meiner Schwiegermutter werde ich ihr Exemplar abgeben, sowie sie nach München zurückgekehrt ist. Sie weilt mit den Kindern seit 4 Wochen bei || meiner Frau, zuerst in Weissenburg im Simmenthal, seit 8 Tagen im Engadin und zwar in Guarda oberhalb Tarasp’s.
Meiner Frau ist es leider lange Zeit gar nicht gut gegangen. Nachdem die Besserung in der Zeit von Weihnachten bis Pfingsten sehr langsame Fortschritte gemacht hatte, fand ich den Zustand bei meinem Pfingstaufenthalt – offenbar der in Folge der zur Zeit der Schneeschmelze eintretenden schlechten Witterung – erheblich verschlechtert. Eine Unterredung mit Dr. Turban führte zu dem Entschluß, meine Frau nach Weissenburg im Berner Oberland zu senden, wo Prof. Huguenin aus Zürich eine Art Sanatorium || für Brustkranke hat. Dieser Aufenthalt (6 Wochen) scheint ganz erheblich die Heilung gefördert zu haben und hoffen wir von der Nachcur in Guarda noch weiteren Erfolg. Von Guarda geht meine Frau wieder nach Davos um dort mindestens bis Weihnachten noch zu bleiben. Sie sehen, lieber Freund, ich habe recht böse Zeiten durch zu machen.
Freitag schließe ich das Semester und gehe ebenfalls nach Guarda. Der Ort, 1650 Meter hoch am Südfuß der Silvrettagruppe gelegen, scheint ein ganz wundervoller Aufenthalt zu sein. Es liegt 500 Meter oberhalb des Innthals auf einer Terrasse, an deren Rand man in || der Ebene mit schönem Blick hinunter in das Thal spaziren gehen kann. Schöner Wald sei nahe beim Wirthshaus. Letzteres (Pension Meisser) ist erst seit kurzem eingerichtet und soll vorzüglich sein, der Wirth und Wirthin Alles aufbieten, um in die Höhe zu kommen. Die Verpflegung findet meine jetzt sehr verwöhnte Frau sehr gut, keine gewöhnliche Schweizer Hotelküche. Haben Sie nicht Lust auch auf einige Zeit nach Guarda zu kommen! Wir würden uns alle sehr freuen. Der Zugang ist von Davos-Dorf über den Flüela Pass. Meine Frau ist ganz besonders von der herrlichen Hochgebirgsluft entzückt.
Herzliche Grüße sendet Ihnen und Ihrer lieben Frau
Ihr allzeit getreuer
Richard Hertwig