Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 13. Januar 1884

Bonn d. 13. Januar 1884a.

Hochverehrter lieber Freund!

Für die Übersendung von Wyville Thomsons Depths of the Sea Ihnen bestens dankend möchte ich zugleich Einiges über Bonn und wie es mir gefällt, Ihnen mittheilen. Ich hätte es schon längst thuen sollen, aber als schlechter Briefschreiber habe ich es immer von Tag zu Tag verschoben.

Mit der Einrichtung meines Instituts bin ich ganz zufrieden. Ich habe ein hübsches Arbeitszimmer mit Vorzimmer. Mein Assistent ist daneben (was vielleicht ein || Übelstand ist) gleichfalls in einem sehr netten Zimmer untergebracht. Dann kommen in derselben Front 2 weitere Räume, von denen einer einfenstrigb ist, der andere 4 breite Fenster hat. Später werde ich sie vielleicht in einen einzigen Raum umwandeln lassen. In ihnen halte ich die microscopischen Übungen. Ausserdem habe ich noch & noch nicht möblirte Räume, welche für selbstständig arbeitende später verwandt werden sollen.

Die Sammlung ist in einem sehr wenig befriedigenden Zustand. Sie würden sich kostbar amüsiren, wenn Sie die Jammergestalten ausgestopfter Bälge, welche als Thiere hier bezeichnet sind, einmal Revue || passiren liessen. Ich bin leider nicht in der Lage diesen Zustand abzuändern. Wollte ich Alles Schlechte entfernen, so würde ich in meinen Sammlungssäälen Bälle geben können. So muß es denn zunächst beim Alten bleiben und das eifrig besuchende Publicum muß sich weiterhin verwundern, welch wunderbare Geschöpfe der liebe Herrgott geschaffen hat.

Welch kleines Auditorium sich täglich um meine zoologische Weisheit zu hören versammelt hat, wird Ihnen Oscar schon erzählt haben. Ich denke in dieser Hinsicht manchmal bedauernd an die Vergangenheit zurück; ich meine nicht Königsberg, denn || damit darf ich gar keine Parallele ziehen, sondern Jena wo ich als Extraordinarius in vergleichende Entwicklungsgeschichte mich eines besseren Erfolgs zu erfreuen hatte, als hier in meinem Hauptcolleg.

Von Collegen treffe ich am meisten mit Strasburger zusammen. Er ist nach wie vor nach den verschiedensten Richtungen hin ausserordentlich thätig. Er schreibt jetzt ein Buch über Untersuchungsmethoden (nach Art des Frey und Ranvier) für pflanzliche Objecte. Seiner Frau geht es schon wieder recht gut. Die Krankheitssymptome scheinen sich allmählig zu verlieren. Seine Kinder haben sich recht gut entwickelt, namentlich || das Mädchen ist nach wie vor eine graciöse Erscheinung.

Pflüger und La Valette bekomme ich so gut wie gar nicht zu Gesicht. Ersterer zieht sich offenbar sehr zurück. Dagegen freut es mich, daß ich mit Leydig mehr und mehr Anknüpfungspunkte gewinne. Ich hatte ihn zweimal vor Weihnachten beim Besuchen verfehlt; er mich auch. In den letzten 8 Tagen war er zweimal bei mir und blieb beide Male über 1 Stunde. Ich habe ihn in der Unterhaltung sehr schätzen lernen. Er ist eine tief angelegte und durchaus noble || Natur; leider dabei die reine Mimose. So wie er nur in den leisesten Conflict kommt, so zieht er sich zurück. So hat er seinen Vorsitz in der Nieder Rheinischen Gesellschaft niedergelegt wegen einer kleinen Differenz und geht jetzt gar nicht mehr in dieselbe. Da er ausserdem gar keine Gesellschaften giebt, die Facultätssitzungen nicht besucht, so lebt er – man kann sagen – in Bonn als ein Einsiedler.

Den alten Krohn, mit welchem Leydig öfters ebenfalls zusammenkommt, habe ich vor Weihnachten besucht. Er befindet sich in einem Zustand, der das lebhafteste || Mitleid wach rufen muß. Er ist ganz blind, vom Alter gebeugt, so daß er nur langsam gehen kann, auch sein Gehör hatc ein wenig gelitten. Geistig ist er noch ziemlich frisch. Er verfolgt alle neueren Arbeiten auf dem Gebiet der Zoologie, welche er sich vorlesen läß: Er scheint sie auch noch zu verstehen, soweit ich es aus der Unterhaltung entnehmen kann, und mit seinen früheren Beobachtungen in Beziehung zu bringen.

Auf meinem Institut arbeitet jetzt ein Dr. Lessona, Assistent von Kleinenberg. Derselbe erzählte mir eine Sache, welche || sofern Sie sie nicht schon kennen, Sie gewiß interessiren wird. In Italien wird alle 4 Jahre ein Preis für die in diesemd Zwischenraum erschienene bedeutendste wissenschaftliche Arbeit gegeben. Ihre Medusen standen in engerer Wahl mit einer englischen Arbeit (so viel ich verstanden habe über indische Alterthümer) und sind leider in der Minorität geblieben und zwar – das wird Sie gewiß freuen – nur mit 1 Stimme. Das Verhältniß der Abstimmenden wäre gewesen 12:13.

Viele herzliche Grüße sendet Ihnen Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Ihren lieben Kindern

Ihr treu ergebener

R. Hertwig

a korr. aus: 1883; b korr. aus: fenstrig; c korr. aus: ist; d eingef.: diesem

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.01.1884
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30454
ID
30454