Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 26. Juni 1871
Bonn den 26ten Juni 1871.
Hochverehrter Herr Professor.
Ihre freundlichen Zeilen, in denen Sie den uns so sehr erfreuenden Ausgang der Preisvertheilung meldeten, haben wir gestern erhalten. Für Ihre herzlichen Glückwünsche und für die Theilnahme, die Sie uns wie überall so gerade bei der Ausarbeitung der Preisaufgabe bewiesen haben, unsern wärmsten Dank. Leider können wir nur mit Dank Ihr väterliches Wohlwollen erwidern, mit Dank und dem Versprechen, in Ihrem Geiste fortzuarbeiten und dieselbe Hingebung dem Zweig der Wissenschaft zu widmen, welche der Ausgangspunkt einer gewaltigen und wie wir mit Zuversicht hoffena, dauernden Umwälzung veralteter und morscher Auffassungen geworden ist. ||
Was die Veröffentlichung der Arbeit anbelangt, so möchte ich Sie nochmals fragen, ob Sie außer den schon corrigirten Stellen nicht noch hier und dort Anstößiges und zur Publikation nicht Geeignetes gefunden haben. Wer lange und wie ich wohl sagen kann, mit Liebe sich mit derselben Sache beschäftigt hat, ist der Gefahr ausgesetzt, daß er stets mit denselben Ideengang, in den er sich nun einmal hineingelebt hat, an die Überarbeitung seiner Anschauungen herantritt und getrübten Urtheils, mit andern Augen, als er sollte, Manches ansieht. Darum bitte ich Sie, unumwunden Ihre Ansicht zu äußern, welche Parthien Sie abgeändert wünschen, welche vielleicht ganz ausgelassen. Zweierlei ist es, was den Anfänger in wissenschaftlichen Arbeiten beunruhigt und unsicher macht, einestheils der beschränkte Überblick des Gebiets, dessen || Theil er bearbeitet hat, andererseits die Vorliebe, aus dem Gefundenen zu viel zu schließen und es unter zu allgemeine Gesichtspunkte unterzuordnen, kurz über das Ziel hinauszuschießen. Je strenger daher Ihr Urtheil die Schwächen der Arbeit richten sollte, um so angenehmer wird es uns sein.
Im Übrigen werden wir Ihren Wünschen nachkommen und uns eine genaue Durchsicht und Abkürzung angelegen sein lassen. Ich glaube, daß b eine Reduktion auf ⅔ oder ½ des jetzigen Volumens wohl ausreichen wird. Wir haben beide noch nicht für den Druck gearbeitet und geht uns hier die Erfahrung vollkommen ab, wie viel sich auf fünf Druckbogen unterbringen läßt.
Bei Prof. Schultze waren wir gestern nach Empfang Ihres Briefes und haben uns bei ihm erkundigt. Einen Theil seiner Sachen läßt er jetzt bei dem Stecher des Virchow’schen || Archivs stechen; einzelne Tafeln seines Archivs (Arbeit von Eilhard Schulze über Cuticularbildungen bei Hippocampus) sind bei einem Münchener gestochen und sehr hübsch ausgefallen. In den nächsten Tagen will Prof. Schultze Ihnen ausführlicher hierüber schreiben. Die letzten Dönitzschen Arbeiten hattec er noch nicht gelesen. Wenn sie so ausgefallen sind, wie seine Aszidienuntersuchungen, dann fallend sie auch in das Bereich der Publikationen, über die man am besten zur Tagesordnung schreitet.
Gestern waren wir bei Frau Professor Bleek zu Mittag und trafen dort Ihre Tante Frl. Sethe. Sie erzählte uns vom Einzug der Truppen und Ihrem patriotischen Enthusiasmus. Morgen will sie von hier weiter ins Bad reisen. Von ihr und Familie Bleek beste Grüße. Sie hoffen für den Fall, || daß Ihre Frau Gemahlin Ems besuchte, sie auf einige Zeit hier zu sehen.
Nach wenigen schönen Sommertagen haben wir hier wieder ganz abscheuliches Novemberwetter. Wenn die kühle Temperatur für den Collegienbesuch, namentlich für den Operationscurs auch ganz günstig ist, so sehnt man sich doch einmal wieder darnach blauen Himmel über sich zu sehn. Hätten wir auf Lesina eine Ahnung von dem Wolken- und Kältereichen Sommer gehabt, würden wir wohl mit weniger Unmuth die Bora Dalmatina ertragen haben.
Der Brief (auf) an den Padre lastet immer noch auf unserm Gewissen. Die Ungelenkheit im Stilisiren eines italienischene Briefs schreckt uns zurück.
Dr. Krohn, den wir kürzlich aufsuchen || wollten, ist nicht hier. Er lebt im Sommer meist im Bad, diesmal so viel ich mich entsinne, in Carlsbad.
Einliegend übersende ich Ihnen die Quittungen mit der Bitte sie bei dem Rechnungsamt einzureichen. Gleichzeitig ersuche ich Sie die Auslagen abzuziehn, die Sie für uns gehabt haben, Porto, Mappen etc. Bei der Kürze der Zeit vor unserer Abreise hatten wir zu viel mit der Ausarbeitung zu thun und möge dies die etwas formlose Form entschuldigen, inf der die Arbeiten in Jena wahrscheinlich eingelaufen sind. Wir sind Ihnen sehr dankbar, daß Sie den Formfehler gutgemacht haben.
Herzlich grüßt Sie und Ihre werthe Familie
Ihr treu ergebener
Richard Hertwig.
Beste Grüße von Oskar.
a korr. aus: hoffenden; b gestr.: R; c korr. aus: hatter; d korr. aus: verfallen; e korr. aus: italsienischen; f korr. aus: Wie