Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Helgoland, 25. September [1874]
Helgoland den 25ten September
Hochverehrter Herr Professor!
Endlich bin ich so weit daß ich getrosten Muthes von Helgoland aufbrechen kann. Reichliches Material theils lebend theil conservirt nehme ich nach Bonn mit und hoffe dort die hier angefangenen Studien vollenden zu können. Der Organismus auf dena Sie mich aufmerksam gemacht haben und der wie ich nun mit aller Bestimmtheit behaupten kann, eine Acinete istb, hat mich eingehend und während der ganzen letzten 14 Tage ja sogar einzig und allein beschäftigtc. Im Bau hat die interessante Form Vieles was an die Infusorien erinnert. Der Nucleus ist ganz wie bei den Vorticellen. Der Schwärmer weicht von den Schwärmern der übrigen Acineten vollkommen ab. Er hat eine bewimperte Fläche || nicht einen Wimperreif wie die Schwärmer der übrigen Acineten. Noch mehr nähert sich der Schwärmer den Infusorien im Bau durch den Besitz einer eingestülpten Stelle eines Cytostoms, welchesd flimmert im Laufe der Entwicklung, währenddem sich der Schwärmer festsetzt, verstreicht. Die Acinete ließe sich demnach als eine in der regressiven Umbildung, welche die festsitzende Lebensweise erzeugte, noch nicht so weit fortgeschrittene Form auffassen welche noch Anklänge an die Stammform im Laufe der Entwicklung erkennen läßt. Die Betheiligung des Kerns bei der Entwicklung habe ich zum Theil kennen gelernt, hoffe an dem in Chromsäure conservirten Material sie von Anfang an verfolgen zu können. Jedenfalls ist die Fortpflanzung nichte eine Folge einer Keimbildung aus dem Kern, sondern muß als eine nach dem Prinzip der Zellfurchung erfolgender Vorgang angesehen werden. Auch scheint hier wie dort der Anstoß vom Kern || auszugehen.
Näheres von Bonn aus wohin ich von hier aus auf 6 Wochen gehe. Ich gedenke daselbst den Bau und die Entwicklung der Acinete noch weiter zu verfolgen und hoffe daß ich so guten Stoff zu einer Habilitationsarbeit finden werde. Es lassen sich vielerlei allgemeine Ideen an die Beobachtungen anknüpfen.
Schließlich bitte ich Sie noch das flüchtige Schreiben zu entschuldigen. Es ist 2½ früh und ich habe seit 6 Uhr morgens fast ohne Unterbrechung gepackt und Material sortirt und eingelegt. Heute morgen um 7 werde ich nach Bremen fahren daselbst einen Tag bleiben und Dienstag nach Bonn weiterreisen.
Herzlichst grüßt Sie
Ihr treu ergebener
Richard Hertwig.
a korr. aus: durch; b eingef.: eine Acinete ist; c eingef.: beschäftigt; d korr. aus: was; e korr. aus: kei