Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Berlin, 21. Januar 1897
Berlin W. Maassenstr. 34.
21/I 97.
Hochverehrter Freund und College!
Gestern habe ich Ihnen das zweite Heft meiner Zeit- und Streitfragen zugeschickt, in deren Thema „Mechanik und Biologie“ ich glaube auf Ihr Einverständniss rechnen zu können. Von Roux und Andern ist es in der letzten Zeit Mode geworden, auf die beobachtende Richtung in der Biologie etwas von oben herab zu sehen und ihre Bestrebungen als die eigentliche Wissenschaft || in einer Weise aus zuposaunen, dass es mir zuweilen einen gelinden Unmuth wachgerufen hat. Und daher habe icha versucht zu zeigen, wie wenig hinter den hochtönenden Redensarten dahinter steckt.
Nach dieser Endabrechnung mit Roux habe ich mich wieder an die Fortsetzung meines Lehrbuchs der allgemeinen Anatomie und Physiologie gemacht, da Fischer mich schon öfters zur Fortsetzung gedrängt hat. Der zweite Theil ist ohne Frage viel schwieriger, als der erste zu bearbeiten, || wenn ich den mir vorschwebenden Plan durchführen will. Darum habe ich mit der Fortsetzung so lange gezögert. Nun hoffe ich aber bei der Arbeit bis zur Fertigstellung ohne weitere Unterbrechung zu bleiben.
Von Dr. Semon habe ich Weihnachten gehört, dass Sie sich für das Frühjahr eine längere Reise nach Südfrankreich und nach Messina vorgenommen haben, und dass Sie Ihre Frau Gemahlin und Emma mitnehmen werden. || Für beider Gesundheit wird ein Aufenthalt an der Riviera gewiss gute Folgen haben und Sie selbst werden mannichfache Anregung davon haben, wenn Sie wieder pelagische Studien an dem Orte treiben, an welchem Sie sich vor Jahren in Ihre Radiolarien- und Medusenstudien vertieft hatten.
Mit dem Wunsch, dass Sie mit Ihrer Familie weiter schöne Monate in Italien verleben mögen, grüsst nochmals
Ihr aufrichtig ergebener
Oscar Hertwig.
Viele Grüsse von meiner Frau.
a eingef.: ich