Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Jena, 11. November 1881
Jena den 11. November 81.
Sehr geehrter Herr Professor!
Zu meiner großen Freude habe ich von Ihrer Frau Gemahlin gehört, wie Ihnen bisher Alles nach Wunsch ausgefallen ist und daß Sie bereits den Boden Indiens gesund betreten haben. Möge Ihnen auch auf Ihrer weiteren Reise der Erfolg immer zur Seite stehen. Von Jena kann ich Ihnen gleichfalls nur Gutes mittheilen. Ihre Familie hat sich immer gesund befunden; das Wintersemester ist für Jena ein günstiges zu nennen, da die Anzahl der immatriculirten Studenten sich fast auf 500 beläuft. Namentlich also habe ich alle Ursache mit dem Ausfall des Semesters || recht zufrieden zu sein. Im Vergleich zum Sommer hat die Anzahl der Mediciner im Winter noch zugenommen. Zu den Praeparirübungen haben sich 56 Studenten inscribirt, eine Anzahl, welche zu Schwalbe’s Zeit niemals erreicht worden ist. In meinem 7stündigen Colleg über Anatomie habe ich 51 Zuhörer und mein Publicum ist auch recht gut besucht. Meine neue Stellung wird mir dadurch sehr erleichtert, daß der Zufall mir in den beiden ersten Semestern ein gutes Auditorium zugeführt hat. Auch sonst bin ich in meiner Lehrthätigkeit auf ernstliche Schwierigkeiten nicht gestoßen. Die Leitung || des Präparirsals absorbirt mir zwar viel Zeit, doch glaube ich, daß ich mir schon einige Praxis angeeignet habe. Über das Verhältniß zu Bardeleben habe ich keine Ursache zu klagen.
Seit mehreren Wochen ist Stahl mein Hausgenosse und verkehre ich am meisten mit ihm. In acht Tagen wird er seine Antrittsrede halten, mit deren Ausarbeitung er schon am Ende der Ferien beschäftigt war. In meinem neuen Logis gefällt es mir recht wohl, von Dreyspring habe ich heute noch einen 2 Meter langen Schreibtisch mit vielen Schubfächern bekommen, an welchem es sich bequem und angenehm wird arbeiten lassen.
Gestern ist unsere Referirge-||sellschaft wieder zum ersten Male bei Preyer zusammengekommen, und zwar gegen früher eine halbe Stunde später (½ 8) in Anbetracht der Abwesenheit zweier eifriger Mitglieder.
Es wird Sie interessiren, daß bei der Reichstagswahl Meyer durchgekommen ist und sich am 16/XI nach Berlin begeben wird. Der neue Jurist Franken hat heute eine mir gefallende Antrittsrede gehalten. An die Stelle von Danz ist Löhning aus Heidelberg berufen worden. Vor einigen Tagen ist Fortlage seinem schweren Leiden erlegen, vielleicht wird Volkelt in seine Stelle einrücken. Von Richard habe ich aus Königsberg immer gute Nachricht gehabt, unterlasse es aber Ihnen über ihn Mittheilung zu geben, da selbst Ihnen schreiben wird.
Mit besten Wünschen für Ihr Wohlergeben und wissenschaftliche Reiseerfolge bleibe ich
Ihr treu ergebener
Oscar Hertwig.