Hertwig, Oscar

Oscar Hertwig an Ernst Haeckel, Bonn, 8. Februar 1873

Bonn, den 8ten Februar 1873.

Sehr geehrter Herr Professor!

Endlich kann ich Ihnen mittheilen, daß wir beide das Staatsexamen glücklich und zu unsrer Zufriedenheit zurückgelegt haben. So ist denn der Berg auch überstiegen, der uns in den letzten Jahren mehr als uns lieb war, zu mancher nicht erwünschten Arbeit gezwungen und von der Beschäftigung mit morphologischen Studien oft abgehalten hat. Auf den erworbenen Titel und das Recht praktischer Ärzte verzichten wir von ganzem Herzen und werden jetzt die unter Ihrer Leitung in Jena begonnenen Studien mit um so größerer Lust und Liebe aufnehmen, als wir über unsre Zeit freier verfügen können und durch keine Nebenstudien beengt || Zeit und Kräfte zu zersplittern brauchen.

In den letzten Tagen hat uns die Frage, was nun zunächst anfangen, viel beschäftigt. Da keine Aussicht vorhanden ist, daß der Staat auf uns als dienstfähige junge Leute Verzicht leisten wird, so wollen wir so rasch wie möglich diese Last von uns abschütteln und gleich in den sauren Apfel beißen; denn süß wird er doch nicht, wenn wir ihn auch noch so lange liegen lassen, eher immer sauerer.

Unser Programm ist vorläufig folgendes: Richard wird die Stelle, die ich für ein Jahr übernommen habe, im Sommer für mich versehen. Da Prof. Schultze, mit welchem wir heute gesprochen haben, mit dieser Veränderung einverstanden ist, gedenke ich gleich vom 1sten März an mein Jahr als einjähriger Unterarzt anzu-||treten, und hoffe sehr, daß die Stelle in Jena mir nicht entgehen wird. Denn sollte ich dort nicht angenommen werden, dann wäre ich allerdings in großer Verlegenheit, wohin ich mich wenden sollte. Einmal haben wir es uns fest vorgenommen, für die nächste Zeit uns von einander zu trennen, damit Jeder sich auf seine Art entwickeln und ganz auf eigenen Füßen stehe, sodaß ich von Bonn absehe. Ferner habe ich aber gar keine Lust an einer mir noch unbekannten Universitätsstadt zu dienen; wüßte auch keine woa ich mich neben dem Militärdienst mit wissenschaftlichen Arbeiten so gut wie in Jena befassen könnte und wünsche ich sehr unter Ihrer und Ihres Freundes Gegenbaurs Leitung nun eingehender Zoologie und Anatomie zu betreiben.

In der allernächsten Zeit will ich bei den Militärbehörden die erforder-||lichen Schritte thuen und werde ich Sie hoffentlich recht bald in Jena begrüßen können. Wenn ich mein Jahr abgedient habe, dann wollen wir beide mit den Rollen tauschen, um endlich in 2 Jahren von allen hinderlichen Fesseln frei zu sein. Unter diesen Umständen haben wir auch darauf verzichtet, in den Osterferien zu unsrer Erholung sowohl als zur Belehrung eine Reise an das schöne Mittelmeer vorzunehmen und trösten wir uns damit, daß wir später einen längeren Aufenthalt am Meere zu nehmen gedenken. Was halten Sie von diesem Programm? Wir legen einen sehr großen Werth darauf in dieser Angelegenheit auf Ihre Stimme zu hören! Überhaupt wären wir Ihnen sehr zu Dank verpflichtet sein, wenn Sie uns in unsern weitern Studien mit Ihrem Rath zur Seite stehen werden.

Prof. Schultze, v. La Valette u. Frau Prof. Bleek lassen vielmals grüßen. Schultze sagt Ihnen für die Spongiensendung besten Dank. Ihre Spongienarbeit hat er aber vom Buchhändler noch nicht zugeschickt erhalten.

Mit bestem Gruß an Sie und Ihre Frau Gemahlin

Ihr treu ergebener

Oscar Hertwig.

Beste Grüße von Richard.

a korr. aus: wo’s

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.02.1873
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30370
ID
30370