Ernst Krause an Ernst Haeckel, Berlin, 25. September 1881

Redaction des „Kosmos“

Dr Ernst Krause.

Berlin N. O. Friedenstrasse No 11

den 25a ten September 1881.

Lieber Freund!

Aus Ihren lieben Zeilen vom 22t dieses, die ich erst diesen Augenblick erhalten habe, erfahre ich zu meiner großen Freude, daß Ihre Reise nach Ceylon trotz aller Mißgunst der Personen u. Verhältnisse doch zur Ausführung kommt. Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen eine glückliche Hin- u. Rückreise u. eine solche Ausbeute, daß diese jämmerlichen Rückschrittler der Wissenschaft vor Aerger u. Neid bersten mögen! Man sollte es nicht für möglich halten, daß der Parteihaß in der Wissenschaft so weit gehen kann, daß Geldmittel für wissenschaftliche Reisenden, die man willig jungen unbewährten Kräf-||ten öffnet, Ihnen verschließen kann, der doch abgesehen von allem andern, durch die Radiolarien-Spongien-Korallen- u. Quallen-Studien, auch im Sinne jener alten Auffassung der Zoologie mehr geleistet hat, als irgend ein Lebender! Aber freilich Carl Sachs war ein Bewunderer u. Nachbeter Dubois Reymonds, der sich für den Dalai Lama unsres Jahrhunderts hält, u. höchstens noch von Virchow an Selbstüberschätzung übertroffen wird. Virchow ist jetzt der reine Commis Voyageur seines Ruhmes geworden, u. verkündet fortwährend in telegraphischen Depeschen von Charkow, Tiflis u. s. w., mit welchem Enthusiasmus ihn die Studenten dort aufnehmen. Von London wußte er nichts Ähnliches zu berichten, u. es soll seiner Eigenliebe einen schweren Stoß versetzt haben, als man trotz der wohlberechneten, aber in seinem || Munde doch sehr überraschenden Rede für die Vivisektion unter den drei berühmtesten Ärzten unserer Zeit, deren Namen in Brillantfeuer erglänzten, seinen illustren Namen vergessen hatte. Ich habe mir wieder einmal das Vergnügen gemacht, in einem Artikel über den gegenwärtigen Stand der Schwanzfrage für das Oktoberheft des Kosmos, in welchem ich die neuerenb Arbeiten von Ecker, Mohnike, Bartels u. Ornstein resumire, die Herren His u. Virchow etwas zu hänseln, den ersteren weil erc dend Namen Schwanz dere Verlängerung der Chorda u. Wirbelsäule beim menschlichen Embrÿo nicht zugestehen will, u. den letzteren wegen seines „Gesetzes“ der Duplicität der Fälle. Ich habe erfahren, daß sich Virchow mehr als nöthig über solche kleinen Späße ärgert, aber er sollte mir vielmehr dankbar sein, daß ich ihn damit vor Größen-||wahnsinn bewahre. Auch His scheint sehr sorgsam den Kosmos zu studiren, wenigstens ersah ich aus einer neuen Publikation von Prof. Krause, daß er mich irgendwo mit Ehrentiteln überhäuft haben muß. Da Sie den Artikel vor Ihrer Abreise wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht bekommen werden, lege ich zu Ihrer Erheiterung einige dieser Stellen aus der Correktur bei.

Herr Jules Sourÿ hat vor vierzehn Tagen an mich geschrieben u. mir seine Dissertation de hylozoismo apud recentiores für den Kosmos zur Verfügung gestellt. Ich habe die Arbeit sofort dankend acceptirt u. in Übersetzung gegeben, ebenso habe ich Herrn Koch veranlaßt, demselben von Oktober an ein regelmäßiges Freiexemplar des Kosmos zu senden. Überhaupt gestalten sich die internationalen Beziehungen des Kosmos sehr gün-||stig. So hat Prof. Marsh mich vor einigen Wochen – während ich leider verreist war – besucht, u. hinterlassen, daß er mir Clichés aller seiner Abbildungen zur Verfügung stelle, da ihm der Kosmos sehr gut gefalle. Auch an den Universitäten wird er, wie es scheint, mehr gelesen als früher. Eine große f Freude machte mit dieser Tage Prof. Leÿdig, indem er mir schrieb, daß er meiner im letzten Septemberheft aufgestellten Vermuthung, daß es sich bei den „augenähnlichen“ Organen der Fische, um vollkommen optische Beleuchtungsapparate mit Hohlspiegel u. Linsen handeln möchte, eine bedeutende Wahrscheinlichkeit nicht absprechen könne; es würde das, wenn es sich bestätigte, eine der merkwürdigsten Schutzeinrichtungen sein, die sich denken lassen. Vielleicht haben Sie in Ceylon Gelegenheit, einen solchen Leuchtfisch zu || untersuchen. Natürlich erwarte ich nicht, daß Sie in Ceÿlon etwas für den „Kosmos“ schreiben sollten. Aber wenn Ihnen an sofortiger Publikation irgend einer vorläufigen Mittheilung u. dergl. liegen sollte, oder das für Ceÿlon berüchtigte Regenwetter, (wie wir nicht hoffeng wollen) Sie gelegentlich gefangen halten sollte, so denken Sie unsrer doch vielleicht einmal mit einigen Zeilen, die ich eventuell als „offenen Brief“ im Kosmos geben könnte?

Mir ist es in diesem Sommer schlecht ergangen; ich war nach Pontresina gereist, um dort vier Wochen zu bleiben, aber am vierten Tage meines Dortseins, rief mich die telegraphische Nachricht von dem plötzlichen Tode meiner guten Stiefmutter, die immer wie eine rechte Mutter für mich gesorgt hat, zurück.

Indem ich Sie bitte, mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen, zeichne ich mit tausend herzlichen Grüßen u. Wünschen Ihr treulich ergebenster

Ernst Krauseh

a korr. aus: 16; b eingef.: neueren; c korr. aus: der; d eingef.: den; e korr. aus: den; f gestr.: P; g eingef.: hoffen; h Schlußworte („ich mit … Ernst Krause“) vertikal am linken Rand von S. 6

Brief Metadaten

ID
29467
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Redaction des "Kosmos"
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
25.09.1881
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,1 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29467
Zitiervorlage
Krause, Ernst an Haeckel, Ernst; Berlin; 25.09.1881; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_29467