Luzern den 6. August 80.
Lieber Freund!
Ihre freundlichen Zeilen erhielt ich erst unmittelbar vor meiner Abreise nach hier, da ich zuvor noch die Meinigen aufgesucht hatte, um ihnena Adieu zu sagen. Seither hatte ich Ihren Brief in der Tasche u. wollte jeden Abend antworten, aber wie das auf der Reise geht, jeder Tag hatte seine Plage u. Abends konnte ich nicht zum Schreiben kommen. Einem Freunde zu Liebe bin ich schon am 29. Juli abgereist, u. wir haben fast acht Tage lang trübes, regnigtes u. kaltes Wetter gehabt u. wir haben uns mehrere Tage hier am Vierwaldstätterb See aufgehalten, bis wir endlich gestern einen leidlichen Tag zur Rigifahrt hatten. Vorgestern || waren wir in Brunnen u. auf dem Axenstein, um die merkwürdigen Karrenfelder zu sehen. Unsere Absicht ist, diesmal einige bisher von uns beiden niemals besuchte Punkte aufzusuchen, nämlich Chamounÿ, Zermatt, Aeggischhorn, Ober-Engadin. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich mit Ihnen einige Tage in der Schweiz verleben könnte, aber ich weiß doch nicht ob ich später noch wieder nach Brunnen werde kommen können, da wir an die Absolvirung unsers seit einem halben Jahre ausgearbeiteten Schweizer Fahrplan’s nach dem Oberammergau gehen wollten, um dort das Stückchen Mittelalter zu sehen, was man in unsre Zeit rettet. Sollten Sie vielleicht das Oberengadin oder den Oberammergau ebenfalls streifen wollen, so wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie, es mir nach c || Churd poste restante freundlichst mittheilen wollten. Ich denke dort bis zum 19et etwa zu sein u. dann nach dem Besuch von Zermatt über Brieg bis zum Rheinfall hinaufzufahren. Sollte ich indessen vor Ende des Monats auf einige Tage früher loskommen, so suche ich Sie in Brunnen auf.
Mit den herzlichsten Grüßen u. den besten Wünschen für Ihre Sommerfrische
Ihr treu ergebener
Ernst Krause
a korr. aus: Ihnen; b korr. aus: Vierwaldstädter; c gestr.: Chamounÿ, d eingef.: Chur; e gestr.: 13; eingef.: 19