Ernst Krause (Carus Sterne) an Ernst Haeckel, Davos, 13. September 1877
Davos-Platz, (Kurhaus)
den 13.9.77.
Lieber Freund!
Ihre Schilderung Corfus, die ich gestern hierher nachgesandt erhielt, hat mir soeben eine herrliche Stunde bereitet, für welche ich Ihnen herzlichst danke. Ich hoffe, sie wird auf Unzählige ebenso wirken u. besonders Maler mit unstillbarer Sehnsucht nach dem vergessenen Gestade der Poesie erfüllen. Diese Lektüre, ein Brief von Prof. Schultze aus Dresden, einen Brief von Giltsch aus Jena; Alles mahnt mich, daß ich meine Erholung etwas zu weit ausgedehnt, indem ich selbst Ihnen über meinen Verbleib keine Nachricht gegeben habe, wobei ich aber als Entschuldigung anführen kann, daß ich Sie zur Zeit procul negotiis, wer weiß wie weit von Jena, vermuthete. Wahrscheinlich wird Ihnen nun dieser Brief nachgesandt werden müssen, denn Herr Prof. Schultze theilte mir mit, daß Sie zur Naturforscher-Versammlung reisen würden, u. nun jetzt möglicherweise bereits unterwegs sind. Er fügt hinzu, daß Sie eine Ansprache dort halten würden u. als Redakteur auf Urlaub kann ich nicht umhin, sogleich die unbescheidne Anfrage daran zu knüpfen, ob Sie uns diese Rede vielleicht nachher zum Abdruck in den Kosmos geben möchten, was ja einen zweiten Abdruck als Broschüre oder in einer Sammlung nicht hindern würde? Bitte, thun Sie es! Sie werden freilich auf den Kosmos nicht besonders gut zu sprechen sein, da sein Inhalt beständig viel zu wünschen übrig läßt. Die Ursache ist, daß die ganze Arbeit einem nichts weniger als arbeitstüchtigen Menschen obliegt, || denn Caspari u. Jaeger sind nur nominell betheiligt; u. liefern außer ihren Artikeln gar keine Arbeit. Ich bin übrigens mit letzterem Umstande sehr zufrieden, um so mehr, da ich mich in den acht Wochen hier sehr erholt habe u. hoffen darf allmählig wieder leidlich gesund zu werden, so daß ich dann mit bessern Kräften für das Journal thätig sein kann. Gegen Ende des Monats (September) will ich nach Berlin zurück u. unterwegs mit Alberts über dies u. jenes Rücksprache nehmen, was hoffentlich auch zu einigen Verbesserungen führen wird.
Herr Giltsch schrieb mir, daß Sie von den Zeichnungen zu Ihrem Vortrage über die einfachsten thierischen Lebensformen absehen wollten u. an deren Stelle Cliché’s wählen? Sie haben doch nicht anderweitig über diesen Vortrag verfügt? Ich wäre Ihnen herzlich dankbar, wenn Sie uns denselben bald geben wollten, weil er eben fundamentale Gegenstände behandelt, an die sich dann besonders gut die Aufsätze über die Gasträa-Theorie u. die Gasträaden anschließen ließen. Die Holzschnitte der Gasträaden sind übrigens sehr befriedigend ausgefallen, u. werden eines unserer Hefte prächtig putzen. Nur bei Haliphysema globigerina hat er an dem Durchschnitte die Buchstaben vergessen, was aber nicht so schlimm ist.
Was haben Sie zu meiner Iphis-Tollheit gesagt? Die Sache ging zu eilig, als daß ich Ihren freundlichen Rath darüber vorher hätte einholen können. Es kam mir nämlich in Rücksicht auf unsre Leser darauf an, der für sie, und (ich muß es gestehen) auch für mich unverdaulichen Caspari’schen Philosophie ein heiteres u. pikantes Gegenstück zu gesellen, damit sie auch in diesem stark von derselben angekränkelten Hefte ihre Rechnung fänden, daher die literarhistorische Ausmalung des bedenklichen Themas. Ich bin neugierig, ob Caspari in seinem nächsten ästhetischen Damenthee das ganze Heft (wie er thun soll) zum Vortrag stellen wird. Vor seiner Philosophie, die || sehr tief durchdacht sein mag, mir aber entsetzlich schulmäßig u. anthropozentrisch erscheint, hoffe ich unsere Leser für lange Zeit geborgen u. so viel an mir liegt, kommen wie fürs Erste nicht wieder darauf zurück. Prof. Fritz Schultze hat mir für die nächsten vier Hefte ebensoviel Artikel über das Verhältniß dera griechischen Philosophie zur Naturwissenschaft versprochen, u. inzwischen wird sich weiter Rath finden, um dem philosophischen Bedürfniß gerecht zu werden, ohne unsere Leser mehr zu langweilen, als unumgänglich erforderlich ist. Haben Sie die bittere Kritik des einleitenden Kosmos-Artikel von Caspari durch Ludwig Büchner in der Waage gelesen? Ich kann dem Büchner nicht ganz Unrecht geben, aber es wird wohl nicht viel helfen. Mit Jaeger und Alberts macht sich die Sache sehr gut; Letzterer muß freilich immer noch alle Monate einige hundert Thaler draufzahlen, weil die splendide Ausstattung viel Geld kostet, aber die Abonnentenzahl wächst beständig u. ich denke, daß das Journal bald auf festen Füßen stehen wird. Auch beginnen die Zeitungen nunmehr, u. zwar durchweg in freundlicher Weise davon Notiz zu nehmen, u. es ist mir doppelt lieb, nicht nach dem Beispiel unseres guten Zacharias die Sache durch Selbstreklame forcirt u. vielleicht verdorben zu haben. Der große Mann fährt übrigens fort zu schmollen u. unsb seine Gunst zu entziehen, wofür ich ihm herzlichst verpflichtet bin. Wir haben an den Bärenbachs u. Consorten Mitarbeiter seines Schlages genug u. können uns dessen trösten. Schmerzlicher bleibt mir immer das Grollen der Besten. Würden Sie nicht vielleicht auf der Naturforscher-Versammlung Gelegenheit nehmen könnenc, ein freundliches Wort für uns bei Weismann, Oskar Schmidt, Moritz Wagner, Gegenbauer [!], Leuckart einzulegen? Unsere Aufforderungsliste, die leider in dem Drange des Buchhändlers übers Knie gebrochen worden ist, erweist sich schließlich als ein rechtes Hinderniß, Prof. Wundt, Victor Carus, Kerner u. || viele Andere d haben gewiß nachträglich nur darum so schroff abgelehnt, weil sie nichte gleich im Anfange um ihre Mitwirkung gebeten worden sind. Hoffentlich wird die Zeit darin Einiges mildern u. bessern. Außerordentlich freue ich mich, daß Prof. Preyer uns zuweilen unterstützen will, denn seine Beiträge sind ein Genuss für Freund u. Gegner. Allmälig glaube ich, dürfen wir uns immer mehr einer wissenschaftlichen Geltung nähern könnenf, wenn erst die unumgänglichen einleitenden Artikel auf allen Gebieten einigermaßen erledigt sein werden, freilich kommt man auf vielen Gebieten über die ersten Fragen nie hinaus. Prof. Weinland hat mir jetzt einen Artikel geschickt, in welchem er bei völliger Annahme der Entwickelungstheorie den Homo alalus läugnet. Was soll man nun dabei thun? Wenn man nicht annehmeng willh, daß eine plötzliche himmlische Erleuchtung stattgefunden, so scheint mir der Alale eine mathematisch beweisbare Nothwendigkeit. Was soll man aberi mit solchen Querköpfen thun? Sie führen das Problem immer wieder auf den Nullpunkt zurück u. machen die die Leser an sich selber irre, gleichwohl geschieht das von Mitarbeitern, die ich am wenigsten missen möchte. Andere wieder, wie Seydlitz klammern sich an Darwin’s Worte, als ob sie unfehlbar wären, riechen überall Lamarckismus u. ähnliche schreckliche Ketzereien; kurz man steht vor einem bunten Meinungen-Chaos, bei dem es mir wirklich mitunter fraglich erscheint, ob diese gärende Mischung ein Trank für schwache Magen ist, u. ob es nicht besser wäre, auf j die populäre Geltung mehr u. mehr zu verzichten. Einer unserer Abonnenten schreibt mir ganz kläglich: „Wem sollen wir trauen, Caspari u. Büchner sprechen sich gegenseitig alles Verständniß ab, Jaeger gesteht, daß er auch nur Dogmen habe, dann aber können wir uns bequemer im Christentum betten.“ Indessen verzweifle ich noch lange nicht, u. wünsche, daß ich mit meinen redaktionellen Stoßseufzern Ihnenk nicht Lust u. Laune verdorben habe, bald einmal mit einigen Zeilen für die Öffentlichkeit u. Innerlichkeit zu stärken
Ihren dankbar ergebenen
Ernst Krause.
a korr. aus: zur; b korr. aus: und; c eingef.: können; d gestr.: sind; e eingef.: nicht; f eingef.: können; g korr. aus: annimmt; h eingef.: will; i eingef.: aber; j gestr.: ein mehr; k eingef.: Ihnen