Ernst Krause (Carus Sterne) an Ernst Haeckel, Berlin, 1. Juli 1876
Berlin, Alte Schönhauserstr. 51. III.
den 1.7.76.
Hochverehrter Freund!
Gestern bin ich nach längerer Abwesenheit wieder auf einige Tage hierher zurückgekommen u. fand zu meiner großen Freude von Ihnen zwei Lebenszeichen, die mir zeigen, daß Sie munter u. frisch in nie rastender Forschungslust sind. Es macht mich schwermüthig zu denken, daß ich ein ganzes ganzes Jahr lang fast gar nichts gethan habe. Die Perigenesis will ich noch heute vornehmen u. freue mich sehr darauf, es ahnt mir Gutes. Mein alter, leider etwas konfuser Gönner, der Prof. Spiller (Physiker) müht sich seit Jahren den Weltäther als das bewegende Prinzip des Alls zur Geltung zu bringen, als die Vis a Tergo der Schwerkraft u. aller sogenannten Anziehungen, sowie auch der organischen Funktionen. Ich vertraue, es liegt etwas noch unausgesprochen Tiefes dahinter, was mit Ihrer neuen Auffassung der Entwicklungsvorgänge zusammentreffen dürfte.
Für die Überlassung der Cliché’s sage ich Ihnen herzlichen Dank u. werde Herrn Keil benachrichtigen, daß er es alsbald in Empfang nimmt. Auch bitte ich Sie, mir dann noch von Haliphysema die beiden Cliché’s machen zu lassen. Ich habe den Artikel immer noch aufgeschoben, weil mir seit lange alle Stimmung u. Sammlung fehlt, aber ich hoffe es soll doch ein klarer, eindringlicher Artikel werden, über den sich ebensoviele freuen werden, als sich daran || ärgern. Der arme Agassiz, dem ich doch wohl im satirischen Drange etwas zu hart zugesetzt habe, soll noch nicht zur Ruhe kommen. Unter den vorgefundenen Briefen finde ich auch einen von einem mir bisher unbekannten Herrn Justizrath Kusenberg in Düsseldorf, der mir mittheilt, daß er meinen Artikel übersetzt habe, um ihn in einer amerikanischen Zeitung zu veröffentlichen, da er seinen langjährigen Landsleuten diese Aufklärung schuldig zu sein glaubt. a Ich wünsche diese Aufwärmung keineswegs u. habe auch sofort in diesem Sinne geantwortet, aber die Übersetzung ist bereits gemacht u. es wird in diesem Falle wohl – ohne den Entomologen zu nahe zu treten – heißen dürfen: Habent sua fata libelluli. Der alte Prof. Braun hat mir seine Huld gänzlich entzogenb, was mich nicht hindert, ihn wie früher zu verehren u. die jungen Botaniker u. Zoologen, die er mir auf den Hals hetzt, Eduard v. Martens et cæt. bellen zu lassen. Haben Sie in der zweiten Auflage der Häckelogonie gesehen, daß sich Michelis das Verdienst zuschreibt, Sie zu seinen tiefsinnigen Spekulationen bekehrt zu haben?
Aber ich habe Ihnen noch so vielerlei zu erzählen, daß ich wenn irgend möglich, auf meiner Reise nach Tyrol (wo ich einige Wochen in Ruhe leben will, da mein Catarrh immer noch andauert,) einige Stunden in Jena bei Ihnen vorzusprechenc gedenke. Für die Mittheilung des Circular’s in Sachen des Darwin Album’s danke ich Ihnen bestens; ich werde Herrn Rade allerdings nur meinen eigenen Kopf zu Füßen legen können, da ich unter meinen Bekannten in Berlin keine hingebungsvollen Verehrer Darwin’s weiß. Im Übrigen halte ich die Betheiligung der Laienkreise für ziemlich gewichtslos. d Was kann es Darwin interessiren, eine Gallerie von Brustbildern zu bekommen, von Leuten, die er nicht kennt, von denen er nie etwas gehört, außer daß sie ihm nun sagen: wir sind Bewun-||derer deines Genius? Es ließen sich vielleicht höchst interessantere e physiognomische Studien damit verbinden, wenn man als ein Gegenstück ein Album seiner Hauptfeinde zusammenbringen könnte, u. dann statistisch ermittelte, in den Zügen welcher Seite Intelligenz, oder Stupidität, Ehrlichkeit u. Verschlagenheit, Biedersinn u. Fanatismus vorwaltete. Ich würde dann an Darwin’s Stelle bunte Reihe machen, u. mir die Gemäldeschlacht, die Hogarth mal in Ölf gemalt hat, wenigstens in Gedanken ausmalen.
Verzeihen Sie diese Allotria
Ihrem
aufrichtig ergebenen
Ernst Krause
a gestr.: Hi; b korr. aus: gezogen; c korr. aus: vorsprechen; d gestr.: Es; e gestr.: psychol; f eingef.: in Öl