Krause, Ernst

Ernst Krause (Carus Sterne) an Ernst Haeckel, Berlin, 19. November 1875

Berlin, Alte Schönhauserstr. 51. III.

19.11.75:

Hochverehrter Freund!

Eine hartnäckige Pleuritis, die auf der rechten Lungenhälfte lagernd mich am Schreiben hinderte, u. mir es auch heute noch sauer macht, verschuldet, daß ich erst jetzt daran gehen kann, Ihnen für Ihre beiden Briefe und Büchersendungen meinen innigsten, herzlichen Dank zu sagen. Ich habe die Abrundung der Gasträa-Theorie mit aufrichtiger Freude daran, daß sich Alles so schön klärt, gelesen, „Ziele u. Wege“ habe ich genossen wie einen Labetrunk u. es war mir als ob mein Brustfell seit der Zeit weniger schmerzte. Mit bestem Dank sende ich Ihnen hierbei den Schöpfungsplan zurück; ich hatte mir das alberne Buch bereits gekauft, u. werde nicht ermangeln den großen Gründer unter den Naturforschern demnächst würdig zu feiern. Ich hätte nicht geglaubt, daß ein Agassiz nichts Besseres gegen die Entwicklungslehre vorzubringen wüßte, als diese alten Geschichten von der Klugheit der Bienen u. s. w. Bewunderungswürdig ist mir insbesondere die Inkonsequenz erschienen, wie er erst a gegen die Möglichkeit plädirt, individual erworbene Eigenschaften zu vererben u. nebenher mit der größten Naivetät die Erfahrungen seines Freundes Brown-Sequard zum Besten giebt, || nach denen sogar chirurgische Eingriffe regulariter forterben?

Für später habe ich mir vorgenommen einige Hauptkapitel der Entwicklungsgeschichte für die Gartenlaube zu bearbeiten, namentlich die Gasträa u. daran knüpfend die Amphioxus-fragen. Eine große Schwierigkeit für diese Familienblätter machen b immer die Abbildungen u. in dieser Hinsicht ist es recht schwer das Richtige zu treffen. Alle Abbildungen die einen lehrhaften Charakter haben, die an systematische Lehrbücher erinnern werden von den Herausgebern zurückgewiesen, u. c diese müssen ja wohl aus Erfahrung wissen, daß das Publikum dergleichen nicht haben will. Das Bild soll gefällig sein, eine Gruppe bildend, als Ganzes sich herausheben. Ich habe nun gedacht, e es würde nicht übel sein, wenn man die Entwicklungsstufen bis zur Gasträa, f etwa nach Ihrer prachtvollen Tafel viii (aus „Gastrula u. Eifurchung“) auf dem Gesichtsfelde eines Mikroskopes (man kann sich ja ein Sonnen-Mikroskop denken) in einen Ring zeichnete, so daß der Cirkel in sich geschlossen wäreg u. das Ende wieder an den Anfang anknüpfte. Am besten würde es dabei wohl sein, zwischen 114 u. 115 wenigstens noch ein Zwischengliede einzureihen u. auf 119 die vollendete Gastrophysema, in der Stellung als ob sie die Cytode aussendet darzustellen. Die Durchschnitte 117. 118. 120 müßten in das || Innere dieses Cirkels eingeschlossen werden. Es käme nicht darauf an, daß Niemand so leicht ein solches Bild unter dem Mikroskope erblicken würde, es könnte ja als Paradetafel für phantasmagorische Vorstellungen gelten. Ich bitte Sie recht sehr, mir gelegentlich zu schreiben, was Sie von dieser Idee halten, u. ob die Figuren auf Tafel viii sich auf eine gleiche Vergrößerung beziehen, d. h. ob die Zellen der Morula in ihrer ersten Jugend insgesammt nicht größer sind, als die h Archicytula in ihrer vollkommensten Ausbildung? Gegebenen Falls möchte ich Sie alsdann auch um den Nachweis einer brauchbaren Figur von Gastro- oder Hali-physema bitten. Doch ich sehe eben, daß dieser Nachweis ja in Ihrer Abhandlung gegeben ist, u. ich würde wenigstens hoffen dürfen, die Abhandlungi von Carter auf der hiesigen Bibliothek zu erlangen.

Schwieriger noch würde sich eine geeignete Abbildung für den Amphioxus beibringen lassen. Am geeignetsten für diese Zwecke würde es sein, wenn man j in einer Abtheilung z. B. des Aquariums von Neapel eine Ascidie am Boden wurzelnd u. im Wasser Amphioxus u. Meerlanzette nebst den Larven aller drei Thierarten zu einem Gruppenbilde vereinigen könnte. Ich weiß aber nicht, ob die Cynthien oder Phallusien so durchscheinend sind, daß man die Hauptähnlichkeiten des Kiemenkorbes usw. hindurchschimmern lassen könnte, die Petromyzon-larve ist es wohl jedenfalls nicht? Vielleicht || können Sie mir noch eine andere u. bessere Idee mittheilen. Die Beste würde freilich sein, wenn Sie selbst einige solcher Capitel für die Gartenlaube bearbeiten wollten. Aber ich nehme sowohl Ihre Zeit wie mein Brustfell heute zu viel in Anspruch u. schließe daher

Mit vielen Grüßen

Ihr

treu ergebener

Ernst Krause

a gestr.: für; b gestr.: dabei; c gestr.: sie; d eingef.: bilden; e gestr.: wenn man; f gestr.: auf d; g gestr.: ist; eingef.: wäre; h gestr.: Keimzelle; i eingef.: Abhandlung; j gestr.: es

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.11.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29414
ID
29414