Kükenthal, Willy

Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Breslau, 1. September 1914

KGL. ZOOLOG. INSTITUT UND MUSEUM.

BRESLAU IX

STERNSTR. 21. d. 1. Sept. 1914

Verehrter und lieber Herr Professor!

Haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 26. August. Ihrer Aufforderung habe ich sogleich entsprochen, und die unterzeichnete Erklärung an Prof. Schwalbe geschickt. Zwar bin ich nur corresp. Mitglied der Zoolog. Soc. of London, doch danke ich nunmehr auch für diese Ehre. Ich hatte viele Freunde in England, ich werde aber keinem wieder die Hand reichen.

Meine Lotte, die gestern wieder in Breslau war, da ihr Mann sich stellen mußte, hat mir viel von Ihnen erzählt, aber nichts von „mangelhaftem Greisenalter“ sondern im Gegenteil von Ihrer unveränderten Jugendfrische. Das geht auch aus || jeder Zeile Ihres Aufrufes hervor, der uns alle begeistert hat.

In meinem Institut ist es jetzt sehr still. Meine Assistenten und Diener sind sämmtlich eingezogen und ebenso die Mehrzahl meiner speciellen Schüler. Im nächsten Semester wird es wohl wenig Hörer geben. Sonst bin ich in Breslau sehr zufrieden, insbesondere freue ich mich, daß ich den praktischen Unterricht in die Höhe gebracht habe. Auf der Grundlage des Kurses, wie wir ihn in Jena hatten, habe ich weiter gebaut, und die Zahl der Praktikanten ist im Sommersemester bis auf 160 gestiegen. Im Wintersemester gebe ich ein Praktikum der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere, welches von etwa 140 Teilnehmern besucht wird.

Trotzdem Leipzig eine so viel größere Universität || ist, würde es mir doch nicht leicht gefallen sein, aus den angenehmen Verhältnissen Breslaus zu scheiden, und aufs Neue zu reorganisiren. Doch muß ich offen gestehen, daß mich das völlige Übergehen meiner Person bei der Berufung geschmerzt hat. Es ist eine Kurzsichtigkeit ohne Gleichen die so eng begrenzte experimentelle Forschungsrichtung so in den Vordergrund zu schieben.

Sehr leid hat uns allen Ihre trübe Erfahrung mit Plate getan. Über die Charactereigenschaften Plates waren wir freilich so ziemlich im Klaren, und ich speciell habe ihm nie getraut. Daß er freilich eine solche Gemeinheit der Gesinnung bekunden würde, wie er es Ihnen gegenüber getan hat, hatte ich doch nicht erwartet. Nun Sie wissen wohl, daß die Sympathien aller Zoologen auf Ihrer Seite waren, und ich denke auch, daß Sie bei der jugendlichen Elasticität Ihres Geistes auch diese Enttäuschung überwunden haben.

Die herzlichsten Grüße

von Ihrem getreuen

W. Kükenthal.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.09.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28431
ID
28431