Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Breslau, 8. Mai 1900
ZOOLOGISCHES INSTITUT
DER
UNIVERSITÄT BRESLAU.
BRESLAU, DEN 8. Mai 1900.
Hochverehrter und lieber Herr Professor!
Mit der Uebersendung der beiden Bücher haben Sie mir eine große Freude gemacht, nehmen Sie meinen herzlichsten Dank dafür. Wenn ich in Ihnen auch in erster Linie den großen Meister unserer zoologischen Wissenschaft verehre, so wird mir doch auch die Lectüre Ihrer „schlimmen“ Welträthsel hohen Genuß bereiten. Das kleine Bölsche’sche Buch habe ich bereits durchgelesen, es gefällt mir außerordentlich, ich erinnere mich nicht, eine so geistvolle und hoch aufgefasste Biographie jemals gelesen zu haben.
Die zweite Ueberraschung, die Sie mir in Ihrem lieben Brief angekündigt haben, || war nicht minder groß, und ich möchte Ihnen zunächst von Herzen gratuliren zu dem Entschlusse nochmals eine große Tropenreise zu machen. Mit Ihrer jugendlichen Kraft und Frische werden Sie die unausbleiblichen Strapazen leicht überstehen. Für Planktonstudien ist im fernen Osten die Wahl des Ortes nicht leicht. Aus gesundheitlichen Rücksichten müssen Sie Timor von vorn herein ausschließen, Flores ist auch noch wenig civilisirt, in Ternate war das Plankton nicht besonders hervorragend, und es scheint in jeder Hinsicht das Beste zu sein, wenn Sie nach Ambon gehen. Wenn Sie aber die Molukkenfahrt machen, bleiben Sie vielerorts längere Zeit liegen, und es wäre vielleicht am || besten, wenn Sie sich über die Wahl Ihres Aufenthalts erst an Ort und Stelle, auf Grund eigenen Urtheils entscheiden würden. So würde ich z. B. Menado auf Celebes auch für sehr geeignet halten.
Die „Oldenburg“ kann ich Ihnen nur sehr empfehlen, es ist ja richtig, daß sie kein ganz modernes Schiff ist, der Aufenthalt auf ihr ist aber sehr behaglich. Unbedingt ist das Promenadendeck vorzuziehen. Die Cabine, welche ich bewohnte, lag hinten, eine der vorderen Cabinen halte ich aber, der frischen Luft wegen, für besser. Doch ist der Unterschied nicht sehr groß.
Anfang August denke ich auf ein paar Tage nach Jena zu kommen, und würde mich sehr freuen, und würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen noch irgend welche praktischen Rathschläge geben könnte. ||
Von mir ist nicht viel Gutes zu berichten. Meine Familie kommt auch dieses Jahr noch nicht. Wenn auch die Genesung meiner Frau sehr gute Fortschritte gemacht hat, so erscheint es mir doch noch zu gewagt, sie in diesem Jahre schon dem rauhen Breslauer Klima auszusetzen. Daß wir unter dieser Trennung schwer leiden, können Sie sich denken.
Das Semester läßt sich sehr schlecht an. Das Studium der Medicin hört in Breslau allmählig auf, da kein Student mehr unter Hasse arbeiten will. Von jungena Medicinern sind im ganzen 25 immatrikulirt worden. Da sieht es natürlich in den Collegs traurig aus. Der Physiologe hat im Hauptcolleg 20 Hörer, in meiner „Zoologie“ sind einige 40.
Mit meinem Neubau werde ich erst Ostern 1902 beginnen können, da das Baugrundstück, welches endlich angekauft worden ist, nicht eher frei wird. Zu eigenen Arbeiten komme ich sehr wenig; die Instituts- und besonders Museumsgeschäfte rauben mir alle Zeit. Hoffentlich wird das später besser.
Nun leben Sie wohl, hochverehrter Herr Professor, die herzlichsten Grüße!
Von Ihrem getreuen W. Kükenthal
a korr. aus: der junge