Kükenthal, Willy

Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Breslau, 2. November 1898

Breslau den 2. Nov. 1898.

Lieber Herr Professor!

Endlich habe ich etwas mehr Ruhe und kann daran gehen Ihnen einen Bericht über meine bisherigen Erlebnisse in Breslau zu erstatten. Als ich die Räume des sog. Zoologischen Institutes betrat, erfaßte mich doch ein gewaltiger Schreck. Im obersten Stockwerk der Universität gelegen gleichen sie am meisten den Räumen, welche der alte Schäffer in Jena inne hat. Die Zimmer sind niedrig, die Fenster natürlich klein, so daß ein malerisches Halbdunkel herrscht und es herrschte eine Unordnung und ein Schmutz die unbeschreiblich sind. Die nächste Zeit verging natürlich mit Aufräumen. Laboratoriumseinrichtung fehlt bis dahin, so daß der Rest meines winzigen (1800 Mark betragenden) Etats bereits fast aufgebraucht ist. Von Microscopen finden sich nur alte unbrauchbare Instrumente vor. Die große Sammlung, die zum Theil in den Arbeitsräumen, zum größeren Theil ein Stock-||werk tiefer sich in einem riesigen ovalen Saale befindet, ist in vollstem Verfall begriffen. Die kostbare, viele Schränke füllende Insectensammlung ist bereits zum Theil vernichtet. Ferner fehlt es an Arbeitskräften. Der erste Assistent Prof. Rohde hat sich etwas mit der Schmetterlingssammlung beschäftigt, geht aber Ostern ab. Der bisherige zweite Assistent Braem ist auf Reisen, und ich glaube nicht, daß er wieder in seine Stellung eintritt. Ein alter 80jähriger Präparator und ein fast ebenso alter Diener sind meine Hilfskräfte. Wenn ich nicht Krumbach hiera hätte, der sich sehr gut anläßt, wäre ich gar nicht im Stande etwas vorzunehmen.

Einen Trost gewährt es mir, daß ich die Baupläne zum neuen Institut bereits in Händen gehabt habe, und daß doch in wenigen Jahren voraussichtlich der Neubau zu Stande kommt. Es geht hier alles so entsetzlich langsam und bureaukratisch! Wie viel || besser waren wir doch in unserem kleinen Schmuckkästchen von Institut daran!

Auch mit dem Colleg bin ich sehr unzufrieden, in der vergleichenden Anatomie habe ich höchstens 20 Leute; den zoologischen Cursus für Anfänger kann ich, aus Platzmangel schon, kaum halten, mehr wie 4 Leute werden es nicht werden. Nur die ganztägigen Arbeiten im Laboratorium scheinen beliebt zu werden. Es sind nicht weniger wie 8 Praktikanten vorhanden, die z. Th. von auswärts gekommen sind. Natürlich fehlt es auch da an allem Ecken und Enden. Besonders fühlbar macht sich der Mangel an Material. Das einzig gute ist eine ansehnliche Institutsbibliothek, für die eine Stiftung existirt. Leider fehlt es darin aber sehr an neueren Werken, so z. B. vermisse ich schmerzlichst den Challenger-Report, der auch auf der Universitätsbibliothek fehlt.

Doch ich will nicht weiter klagen. Hoffentlich gelingt es mir binnen Kurzem die schwersten Uebelstände zu beseitigen. Daß ich, besonders || unter diesen Umständen, mich oft nach Jena zurücksehne, werden Sie mir wohl ohne Weiteres glauben. Wir sehr vermisse ich hier eine Aussprache über wissenschaftliche Dinge, und wie beneide ich jetzt Ziegler darum. Wie hatten Sie doch recht, als Sie mir sagten, daß mir die als Ritterprofessor verlebten Jahre wohl als die schönsten und sorgenfreiesten vorkommen würden.

Von meiner Familie habe ich glücklicherweise gute Nachrichten. Sie haben sich in dem kleinen Häuschen, welches sie bewohnen, anscheinend ganz behaglich eingerichtet. Freilich empfinden meine Frau wie ich die Trennung schwer.

Hoffentlich geht es Ihnen und Ihrer Frau, der ich mich zu empfehlen bitte, gut, grüßen Sie bitte alle Freunde, Stahl, Biedermann, Verworn, Schultze, Ziegler und behalten Sie in gutem Andenken

Ihren getreuen

W. Kükenthal.

a korr. aus: hierhe

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.11.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28411
ID
28411