Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Jena, 6. April 1893
Jena 6 April 93.
Hochverehrter Herr Professor!
Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief. Die reiche Planktonausbeute ist ja recht erfreulich, und wird wohl noch für die von Ihnen projectirte Arbeit für die „Denkschriften“ verwerthet werden können. Um einen möglichst schnellen Druck Ihrer und Prof. Fürbringers Arbeit zu ermöglichen, habe ich die Drucklegung meiner Arbeit sehr beschleunigen lassen und denke in der Maiwoche fertig zu sein. || Daß Sie noch kühles Wetter gehabt haben, ist ganz merkwürdig, auch meine Eltern schrieben aus Oberitalien, daß die Vegetation noch sehr zurück sei. Dagegen herrscht hier seit ein paar Wochen das herrlichste Wetter. Bei wolkenlosem Himmel und circa 15 Grad Wärme können wir schon die prächtigsten Turen machen.
Die diesjährigen Physikumsexamina verliefen leidlich, nur einer fiel bei mir durch, dagegen war die Doctorprüfung von Prof. Kalkowsky‘s Assistenten Schillbach || ganz schauderhaft. Er ist zwar noch knapp durchgekommen, hätte aber von Rechtswegen her durchfallen müssen.
Viel Neues ist hier aus Jena nicht zu melden. Daß Prof. Vermehren gestorben ist, haben Sie wohl schon gehört. Die meisten unserer Collegen sind ausgeflogen, eine ganze Anzahl werden Sie in Rom treffen wie Lönings, Rosenthals, Winkelmanns, auch Herr Fischer und Frau, weilen jetzt dort. Gestern erhielt ich auch Besuch von Herrn Dr. Benedict Friedländer, der nach Ihnen fragte. Er sah entsetzlich || elend und reducirt aus, und fuhr am Abend über München nach Rom, wo er mittlerweile angelangt sein wird. Hoffentlich haben Sie das Glück ihn zu vermeiden!
Meine Frau und ich haben mit Vergnügen gelesen, daß Ihre Frau Gemahlin die Reisestrapazen so gut erträgt. Wir bitten sie vielmals zu grüßen und senden auch Ihnen die besten Grüße
Auf baldiges frohes Wiedersehen im alten guten Jena!
Ihr treu ergebener
W. Kükenthal.