Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 22. Juni 1918

Triest, am 22. Juni 1918.

Hochverehrter Freund!

Tiefergriffen danke ich Ihnen für Ihre rührend schönen Worte, die mir ein besonders kostbares Pfand Ihrer Freundschaft sind. Es wird ja nicht so kommen, wie Sie andeuten zu müssen glauben; freilich Sanctus ipse Morbus, aber, wenn Sie über so empfindliche Abnahme der Lebenskraft klagen, wie viel kommt da auf Ihre Jahre, wie viel auf die schweren Zeiten, die wir alle jetzt erleben? Das Schlimmste, der Krieg selbst, muß ja nun aber in nicht mehr ferner Zeit vorüber gehen und damit wird auch für uns im Hinterlande des Leben etwas leichter werden und das Wenige schon wird uns wohltun. Da werden auch Sie die Erleichterung wohltätig empfinden || und mit der Lust weiter zu leben und die Erfolge des Kampfes reifen zu sehen gewiß auch die Kraft dazu wiederfinden. Ich bin 15 Jahre jünger als Sie und wie oft denke ich daran, wie viel kräftiger, ausdauernder Sie waren als ich, als wir zusammen in der Villa Vadriana und um Tivoli herumstiegen, auch physisch, gar nicht zu reden von der überwältigenden geistigen Schaffenskraft. Daß eine so begnadete Natur das Altwerden ganz besonders hart empfindet, ist ja dem begreiflich, aber auch Grund zu hoffen, daß Sie sich so leicht nicht völlig niederringen lassen werden! Verehrter Herr & teuerster Freund! Ich hege unter meinen schönsten Hoffnungen für eine bessere Zukunft die, Ihnen doch noch einmal die Hand drücken zu dürfen, noch einmal Ihnen in die Augen zu blicken und Ihnen sagen zu können, wie dankbar und stolz ich darauf bin, von Ihnen gerade diesen rührend liebevollen Brief erhalten zu haben. Dem Hochfluge Ihres Geistes zu folgen, war mir nur in bescheidenem Maße gegeben, aber meine || Verehrung & dankbare Bewunderung darf sich wohl messen mit der der gründlichsten Schätzer Ihres Lebenswerkes! Und wie begreiflich ist es mir, daß Sie das Allerschändlichste vielleicht, das wir erleben mußten, die Gehässigkeit gegen die deutsche Geistesarbeit in der feindlichen – und das ist ja leider gut ¾ – Welt besonders hart empfinden, der Sie in der ganzen Welt einer der bekanntesten und hochgeehrtesten Deutschen waren. Das freilich, daß man auch Ihnen Abbitte leisten wird, werden Sie nicht erleben, aber daß es kommen wird & kommen muß, darf Ihnen zum Trost gereichten. Auch meine Schwester ist tief gerührt von Ihnen ihr geschenkten Zeilen & will Ihnen selbst dafür danken. Wir sind glücklich zu Hause zu sein, aber es ist ein saures Leben. Alles frühere auf den Kopf gestellt, unsere innerpolitischen Verhältnisse lassen nicht viel Gutes erwarten und der eben wieder sehr stark hörbare Kanonendonner von der Piavefront trägt || auch nicht zur Gemütsruhe bei, die schon die unsichere nähere Zukunft stark erschüttert. Aber man muß da Alles persönliche zurückstellen und sich erheben an dem Gedanken, daß ein Unterliegen der großen Gesammtheit, der wir angehören, überhaupt nicht & namentlich in dem Maße nicht, wie es die Entente wollte, nicht mehr denkbar ist. Der Krieg im Osten ist siegreich beendet & der im Westen alleine geht Deutschland nicht mehr an den Kragen.

Ich werde mich sehr freuen, von Ihrem lieben Sohn bald wieder zu hören, wie es Ihnen geht. Sein frisches Wesen wird Sie günstig beeinflussen & Ihren Mut heben. Möge es ihm gelingen & möge, was wir für Sie wünschen & hoffen, sich erfüllen. Auch von meiner Frau, die sich zu Hause gut erholt, die wärmsten Grüße & Wünsche und in treuer Verehrung & Dankbarkeit

Ihr

G. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.06.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27841
ID
27841