Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 14. April 1918

Triest, am 14. April 1918.

Hochverehrter Freund!

Ich lese in der Zeitung Ihren „Dank und Abschied“ aus Anlaß Ihres 84. Geburtstages und die schweren Verhältnisse, unter denen wir jetzt hier leben, sind der Grund, daß ich es diesmal versäumte, Ihnen rechtzeitig Gruß & Glückwunsch zu senden. Es ist wohl sehr begreiflich, daß auch Sie eine Abnahme Ihrer Arbeitskraft zu fühlen glauben und an’s Abschiednehmen denken; um so begreiflicher in unseren Tagen hoher Aufregung & gespannter Erwartung, wie auch so mancher Entbehrung, sondern sogar täglicher Notwendigkeiten. –

Aber gegen das Erste muß ich doch lebhaft protestieren, denn Ihre Krystallseelen zeigen Sie vielmehr auf der Höhe der Schaffenskraft, und das zweite ist doch wieder auch ein Anlaß zur Befriedigung, eine so große Zeit miterlebt & den, wie jetzt nicht zu zweifeln ist, ungeahnten Aufstieg unseres Volkes durch den Krieg zu sehen. – ||

Die Verluste an geistiger, physischer & wirtschaftlicher Kraft sind ja ganz fürchterlich, aber die Kraft & Gesundheit besteht weiter & die Bedingungen der Erholung sind gewiß bei den Feinden viel ungünstiger. Möge es so sein, wie ziemlich allgemein angenommen wird, daß die jetzt so unsagbar großartig begonnenen die Schlußkämpfe seien & dieses Jahr auch uns die Möglichkeit bringe, mit dem Wiederaufbau zu beginnen. –

Ich will auch nichts wissen von Abschied & Abschluß Ihrer Arbeit. Die Nation wird ihre größten Denker eben dann so erst benötigen & Sie werden ihr noch manches Wort der Belehrung & Ermunterung sagen. –

Ich habe Ihnen, da Sie mich in Ihrer gewohnten Nachsicht dazu ermächtigten, meine Eindrücke mitgeteilt, die ich von der ersten flüchtigen Lekture der Krystallseelen mitnahm & habea eine Blatt aus der österr. Rundschau beigelegt, in der der liebenswürdige Botaniker Francé auf Ihr Werk zu sprechen kam – also ein erfreulicheres Urteil als das eines leider völlig incompetenten Verehrers.

Wir waren damals noch in Steyermark (Lassnitzhöhe bei Graz), || von wo wir Ende Jänner endlich, nach 2¾ Jahren, in die Heimat zurückgekehrt sind, unter Mitnahme des zulässigen Maximums an Gepäck. Anderes, darunter meine Bücherkiste, ist noch nicht angekommen & so sind auch die Krystallseelen noch unterwegs & ich kann noch immer nicht, das mich und auch meine Schwester besonders anziehenden Werke wiederlesen, unter Benutzung der Welträtsel & Lebenswunder.

Wir leben etwas mühsam & namentlich sind die Preise der Lebensmittel derart hoch, daß man oft fürchtet, nicht mehr weiterzukönnen. Aber wir sind doch glücklich, wieder zu Hause zu sein, auf eigenem Boden, am eigenen Tisch & das lange Pensionsleben überstanden zu haben. Wir sind immer noch Kriegsgebiet – natürlich da wir an der See liegen – aber man merkt nichts mehr vom Krieg. Die Front ist weit. Flieger kommen auch ab & zu, aber auch von der Seeseite ist jedwede Gefahr ganz ausgeschlossen, während bis zur Großen Offensive die feindlichen Geschütze in Sehnähe standen, was heute freilich nichts mehr bedeutet, seitdem man über 160 km. weit schießen kann. –

Vor einigen Wochenb starb unsere alte Freundin, Baronin Rutteroth, der Sie, als Sie von Ceylon kamen, auch einen Abend schenkten, || 90jährig in noch voller Rüstigkeit. So müssen Sie es auch machen & den Frieden & die Wandlung der blinden Wut gegen das Deutschtum in der Welt in staunende Bewunderung erleben. Sie sprach von Ihnen in ihrer Originalität immer nur von dem „schönen Professor“, der doch gewiß nicht von einem Affen abstammen kann!

Auch die Zeitungsnotiz, die ich beilege, über den alten Deubler, in der Sie zu guter Gesellschaft erscheinen, mag Sie vielleicht intressieren.

Von Ihrem lieben Sohn, der ja nicht Alles, aber doch manches von seinem Papa geerbt hat & mit dem wir herzliche Freundschaft geschlossen haben & treu zu halten hoffen, höre ich manchmal. Auch für sein Streben mag der Krieg manche Schwierigkeit bedingen. – Meine Frau, die in der Fremde recht herabgekommen war, erholt sich hier nach & nach. Sie und Valentine tragen mir wärmste Grüße auf & hoffen mit mir, daß auch Sie, verehrter Herr, sich doch wieder zur alten Daseinsfreude emporarbeiten werden. Unsere Gedanken unsere Erinnerungen sind sehr oft im lieben Jena!

In treuer, dankbarer Verehrung Ihr

Gustav Krauseneck

a eingef.: habe; b eingef.: Wochen

Brief Metadaten

ID
27840
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreichisch-Ungarische Monarchie
Datierung
14.04.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,7 x 20,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27840
Zitiervorlage
Krauseneck, Gustav Adolf an Haeckel, Ernst; Triest; 14.04.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_27840