Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Graz, 19. November 1916

Graz, 19.11.1916.

Hochverehrter, gütiger Freund!

Ihr Brief war ein seltener Sonnenstrahl, der in unser recht trübes Leben hineinleuchtete, trüb durch die allgemeine Lage, die kaum noch ein Ende des Krieges in absehbarer Zeit erwarten läßt, und trüb durch unsre persönlichen Verhältnisse. Die Krankheit meiner Frau hat einen sehr schleppenden Gang genommen, ein Exsudat hat sich gebildet &, da die Bedingungen eines chirurgischen Eingriffes nicht gegeben sind, muß es zur Aufsaugung gebracht werden, ein sehr langsamer, mit beständigem Fieber verbundener Prozeß. Die Ärzte, darunter der hiesige ausgezeichnete Internist, Professor Lorenz, ein Schüler Nothnagels, gibt uns beste Hoffnungen & diese halten uns aufrecht. Fern von der Heimat, unter den auch hier nicht leichten Verhältnissen, die die Beschaffung so manches Krankenbedarfs erschweren, ist die Pflege einer bedenklich Kranken mit vielen Sorgen verbunden und ich empfinde es täglich als besonderes Glück, daß meine Schwester Valentine bei uns ist, die so manche Schwierigkeit zu überwinden weiß. ||

Auf allen Kriegsschauplätzen werden Wunder vollbracht, die eine Kraft & Gesundheit des deutschen Volkes offenbaren, welche an seiner großen Zukunft nicht zweifeln lassen. Auch unser komplicirtes Staatswesen legt doch eine Widerstandskraft an den Tag, die zum mindestens die Feinde nicht erwartet haben; aber Erfolge, die eine Entscheidung bedingen sind kaum denkbar, mindestens nicht so bald. Und da treten wohl die fürchterlichen Verluste immer mehr in den Vordergrund, die, wahllos, so vielfach die besten Menschen vernichten. Die Ihrem Briefe beigegebene intressante Beilage kannte ich Ihrem wesentlichen Inhalte schon aus den Zeitungen. Ach! Sie haben ja durchaus Recht mit Ihren Beschwerden und Wünschen und wenn erst der Tag kommt, der die Kanonen schweigen läßt, werden diese Probleme alle denkenden Menschen erfassena & es wird mit sehr vielen Vorurteilen aufgeräumt || werden müssen. Aber jetzt noch muß es heißen: Vor allem Einigkeit im Wollen, Kämpfen & Siegen! Schließlich sind doch die Ideen die Herrscher in der Welt und darin sind Engländer & Franzosen so minderwertig, daß an ihrem Unterliegen nicht zu zweifeln ist. –

Die Proklamierung des selbstständigen Polen halte ich für eine sehr glückliche Aktion. Das zeigt schon die Wut darüber bei den Andren, ebenso wie die Haltung der Polen selbst, die auch als militärischer neuer Machtfaktor nicht zu verachten sind. –

Und nun, verehrter Freund, unseren Glückwunsch zur Verlobung Ihrer reitzenden Enkelin, von der wir von unserem Besuch bei Ihnen ein so erfreuliches Erinnerungsbild mitgenommen haben. Ihre so wohlwollende Schilderung des Bräutigams, der Ihnen den Gegenstand Ihrer täglichen Freude entführen will, berechtigt zur Zuversicht, daß das holde Geschöpf seinem Lebensglück entgegengeht! Möge es so sein. –

Mit Ihnen & Ihrem ganzen Hause! Heil & Sieg unserer gemeinsamen Sache! – Mit unseren wärmsten Grüßen Ihr dankbar & verehrungsvoll ergebener

Gust. Krauseneck

a eingef.: erfassen

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
19.11.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27837
ID
27837