Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 28. Dezember 1914

Triest, am 28. December 1914

Hochverehrter Freund!

Wie erhebend schön hat dieses Jahr für Sie und Ihre Verehrer begonnen, wie vielversprechend für alle Freunde von Kunst und Wissenschaft und unter welchen Umständen geht es zu Ende! Sie und alle geistigen Führer der Nation, in so zahllosen Abhandlungen und Flugschriften, konnten die Welt immer noch nicht aufklären über das furchtbare Verbrechen, das gegen Deutschland begangen wurde durch die Entfesselung dieses Krieges, der nun fünf Monate die Grundfesten aller Kultur erschüttert und noch keine Anzeichen eines Endes. Immer noch ist „Durchhalten“ das heroische Losungswort, das der Reichskanzler zu Beginn gesprochen, immer noch wogt in Ost & West der grosse Kampf, ohne Aussicht auf eine nahe Entscheidung. || Und doch verlässt uns keinen Augenblick die stolze, sichere Zuversicht, dass die endliche Entscheidung so fallen werde, wie das historische Gesetz, dass die Kultur über ihre Feinde siegen würde, es auch jetzt vorschreiben wird und so treten wir mit der gewissen Hoffnung in das neue Jahr, dass es uns Sieg und Triumpf über unsere Widersacher und Neider bringen werde. So kann ich auch Ihnen gegenüber, verehrter, teurer Freund, meinen Neujahrswunsch vor allem dahin aussprechen, dass es Ihnen vergönnt sei, Ihren Lebensabend verschönt zu sehen durch den endgültigen Sieg der grossen Sache des Vaterlandes und der Menschheit, für die Sie Ihre Kraft eingesetzt haben und heute noch so unvermindert kämpfen. –

Und wenn dem so sein wird, dann möge uns das neue Jahr noch bringen, was das || alte uns versagt, Sie begrüssen zu können und Ihnen dankbar die Hand zu schütteln für alle von Ihnen empfangene Belehrung & Erhebung.

Von Ihrem lieben Sohne habe ich kürzlich Nachricht, dass Sie wohlauf sind und mutig mitkämpfen mit Ihren Waffen. Wir verleben hier diese grosse Zeit, bisher noch, in äusserer Ruhe, aber tief mitergriffen durch persönliche Erlebnisse naher Freunde und die schweren unserem Lande auferlegten Kämpfe. Was noch kommen kann, wer ahnt es?

Durch alle Stürme aber soll die Stimme des Herzens dringen und auch Ihnen unseren Gruss sagen mit den innigsten Wünschen für Sie & Ihr ganzes Haus, als schwaches Zeichen der Verehrung & ewiger Dankbarkeit

Ihres stets treu ergebenen

Gust. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.12.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27832
ID
27832