Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 27. Dezember 1911

Triest, am 27. December 1911.

Hochverehrtester Freund!

Ihr liebenswürdiger Gruß im November, so sehr der Empfang desselben, Ihr treuer Gedanke an uns, mich erfreute, brachte die schmerzliche Nachricht, daß die Folgen Ihres bösen Unfalls immer noch nicht geschwunden sind, trots der langen Kur in Baden-Baden. Wie innig wünsche ich Ihnen daher, nebst Allem andern, daß das neue Jahr vor allem bald völlige Genesung von dem localen Leiden und die Möglichkeit freier Bewegung bringen möge. – Mir wünsche ich von ganzem Herzen, daß das kommende Jahr mir ein Wiedersehen mit Ihnen bringe und wenn’s auch wieder, wie Sie fürchten, mit dem Reisen nicht gehen sollte, so möchte ich Sie wohl einmal in Ihrem reitzenden Haus überfallen, das ich ja gar nicht kenne. Es ist uns immer ein Schmerz, daß, als wir im Sommer 1910 in Weimar waren, || Sie nicht zu Hause waren & wir an dem zu einer mächtigen Stadt heran gewachsenen Jena, ohne Sie zu sehen, vorüberziehen mussten. Auch waren die Tage in Weimar so reitzend schön, daß eine Wiederholung des Besuches uns sehr erwünscht wäre. Schön freilich wäre es, erfreulicher, wenn es sich, um Sie zu begrüßen, um eine Fahrt nach der Riviera handeln dürfte, wo Sie ja so schöne Tage verbracht haben. – Wenn ich an unsre gemeinsamen, mir eine der schönsten Erinnerungen bildenden Tage in Rom denke, wo es mir oft recht sauer wurde, mit Ihnen Schritt zu halten, kann ich mir Sie als Halbinvaliden, wie Sie sich schildern, gar nicht vorstellen. –

Wir haben im letzten Sommer nicht viel gesehen. Ich war genöthigt, die Bäder in Ragaz zu gebrauchen und zum Reisen war es zu warm & wir beide nicht wohl genug. Selbst in den Bergen wurde es erst im September erfrischend. – Das liebe alte Klobenstein ist nun auch ein recht wenig erfreulicher || Rendezvousplatz eleganter Menschen geworden, wo man Mühe hat, das Bild der einstigen lieben Einfachheit wieder zu gewinnen. – Nach dem Sommer verbrachten erst Valentine, später meine Frau & ich einige Zeit in Wien, wo es ja in Theatern & Museen viel Schönes zu sehen gibt. –

Alle können wir – auf das Jahr zurückschauend – wohl dankbar sein, daß es so verlief, wie es geschah. Es schaudert einem bei dem Gedanken an die furchtbaren Geschehen, in denen wir alle schweben, an die Leichtigkeit, mit der im Norden und Süden der Krieg sich hätte entflammen können. Möge sich weiter in England die richtige Erkenntniß vertiefen, daß das mächtig gewordene Deutschland eine Thatsache geworden ist, mit der man rechnen muß, auch wenn es da & dort nicht angenehm ist, das eigene Macht-& Einfluß-Inventar sich vermindern zu sehen. Über derartige eigentlich bloße Geldfragen bildende Disharmonien kann man hinauskommen. Aber hier an unserer Grenze, || wird Nationalhaß gepflegt und es wird viel Weisheit & Geschick erfordert werden, um den offenen Konflikt zu vermeiden. Tripolis wird, solange dort geschossen werden muß, beruhigend wirken, aber für späterhin ist wohl eine blutige Aussprache sehr zu befürchten. Und das traurige ist, daß eigentlich die Dummheit & Schwäche unsrer Regierung dieses ganze Aufflammen wirklichen Nationalhasses zwischen Deutschen & Italienern verschuldet hat & täglich wieder verschuldet. Und soufliert wird ihr dabei von den – Pfaffen!

Meine Frau & Valentine senden die wärmsten Neujahrswünsche & mit mir Empfehlungen an Ihre verehre Frau Gemahlin & ich bitte Sie, verehrtester Herr & Freund, auch weiter Ihr so überaus theures freundschaftliches Wohlwollen zu erhalten Ihrem

in treuer Verehrung ergebenen

G. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
27.12.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27820
ID
27820