Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 23. September 1910

Triest, 23. Septemb. 1910

Hochverehrtester Freund!

Ich freue mich ungemein über Ihren lieben Brief und die guten Nachrichten, die er bringt, aber er ist mir doch ein schwacher Ersatz für das fehlgeschlagene Wiedersehen. Der Bescheid, den ich auf meine Anfrage aus Weimar erhielt, war uns allen dreien – Valentine, meiner Frau und mir – eine sehr schmerzliche Enttäuschung und so mußten wir an dem schönen Jena diesmal vorbeifahren; denn ohne seine große Hauptattraction wäre uns ein Aufenthalt gar zu traurig gewesen. Aber Weimar und was ich sonst sah in Ihrem herrlich schönen Thüringen, das ich ja dummerweise noch nicht kannte, hat mich so sehr beglückt, daß ich kein Jahr verstreichen lasse ohne wiederzukommen & Sie zu sehen. Wenn es diesmal nicht gelungen, im nächsten Jahr muß es sein; dann komme ich früher, vor der allgemeinen Reisezeit. Oft, wenn ich in Ihren herrlichen Büchern lese, erfaßte mich mächtige Sehnsucht, Sie nach so vielen Jahren wiederzusehen, dem gütigen Geschick, das uns Ihre || Bekanntschaft & Freundschaft gebracht, wieder einmal entgegenzugehen, Sie wieder zu sehen & zu hören.

Wir hatten dies Jahr weitgehende Reisepläne. Wir waren unterwegs nach Livland, der Einladung sehr werter Freunde auf ihr Gut in der Nähe von Dorpat folgend, um dann Petersburg zu sehen & über Finnland & Schweden nach Stuttgart zurückzukommen. In Berlin & dann in Danzig nahmen jedoch die Nachrichten über die Cholera in Russland eine meine Frau so sehr erschreckende Gestalt an, daß ich, nach längerem Zögern, ihr nachgeben und den schönen Plänen für dies Mal entsagen mußte. Russische Freunde in Berlin hatten die Zustände ihrer Heimath in einer Weise geschildert, die, wenn auch die unmittelbare Gefahr selbst zu erkranken, bei gewissen Vorsichten nicht vorliegt, doch ohne die Folgen einer möglichen Berührung inficirter Orte so fatal erscheinen ließen, daß aus der Vergnügungsreise eine große Qual entstehen konnte. Wir verbrachten dann einige sehr genußreiche Wochen in Zoppot und Sassnitz, sahen in Kiel und || Hamburg den enormen Aufschwung des deutschen Seewesens und genoßen dann die Schätze Weimars. So war es nicht möglich, im Voraus zu bestimmen, ob und wann wir Ihre Gegend besuchen würden. In Weimar leben jetzt unser hiesiger Freund Stannius – der langjährige hiesige deutsche Consul, der Ihnen von Ihrem Besuch in Smyrna her ein treues Andenken bewahrt. –

Meine Frau & Schwester sind noch nicht eingerückt & habe ich Ihre schöne Karte Valentine nach Wien gesandt. Sie werden meine Freude theilen über die guten Nachrichten, die Sie von sich geben; leider nicht ebenso gute von Ihrer Frau Gemahlin, der ich mich auf das Angelegentlichste empfehle. – Bei meiner Frau zeigen sich auch oft nervöse Zustände, die zu besonderer Vorsicht nöthigen; etwa darum mußte auch zu meinem großen Leidwesen die Fahrt selbst nach dem ganz cholerafreien Livland unterbleiben, wo ich Gelegenheit gehabt hätte, viele Menschen kennen zu lernen und für die deutschen Balten habe ich eine besondere Vorliebe. Sie kämpfen wie wir gegen das Slaventum & der Feind ist ja || dort so viel grimmiger als hier. Aber die Deutschen dort haben auch gewaltig mehr Kraft & Gehalt als wir Österreicher mit unsrer dem schönen Land entsprechenden Gemütlichkeit. Sie werden gewiß wieder Ihre Freude gehabt haben an unsren Bergen. San Martino ist eine wahre Perle Tirols. – Daß Sie im Frühjahr in unsrem lieben alten Klobenstein waren, sagte uns Ihr so willkommener Kartengruß. Seitdem die Rittnerbahn täglich Hunderte von Menschen hinaufbringt, ist aber der alte Reitz dahin.

Eine schöne Aussicht eröffnet Ihren Freunden und Verehrern Ihre Mittheilung, daß Sie Ihre Lebenserinnerungen schreiben. Welcher Genuß steht uns da bevor! Aber ich hoffe, daß Sie noch lange nicht damit fertig werden, daß Ihre Kraft & Frische Sie noch viel erleben lasse, was geschildert zu werden verdient.

Nochmals vielen Dank für Ihre große Freundlichkeit & mit dem festen Vorsatze, Sie im nächsten Frühjahr zu besuchen, in treuer, warmer Verehrung aufrichtigst

Ihr

G. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.09.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27816
ID
27816