Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 21. November 1905

Triest, am 21. Novemb. 1905

Hochverehrter Freund!

Ich fühle mich Ihnen gegenüber stark verschuldet & wollte aber brieflich um Absolution bitten, als mich Ihr lieber, so interessanter, aber leider auch etwas trauriger Brief mit den hochwillkommenen Beilagen überraschte. Vielen Dank dafür und für Ihr freundschaftliches Gedenken überhaupt, das mir ja von so ganz außerordentlichem Werth ist. Und darum vor allem: Mit Freude & mit Dank bin ich bereit, meinen Namen unter den Aufruf zur Gründung des Monistenbundes setzen zu lassen, wenn Sie es wirklich für angezeigt halten; denn erstens ist ja doch im Großen & Ganzen meine Überzeugung was ich da unterschreibe & dann sind Sie der Ehrenvorsitzende und Ihnen öffentlich huldigen zu können, ist mir mehr als Befriedigung. Ich werde in Folge dessen || meinen Beitritt an Herrn Dr. Schmidt anzeigen & hoffe, daß ich, wenn auch wohl kaum zur constituirenden, doch später einmal zu günstigerer Jahreszeit zu einer Verhandlung werde kommen können. –

Die Mittheilung über Ihr Befinden hat mich sehr betrübt; nicht wegen Ihrer Leiden, denn bei über 70 kommen solche Störungen ohne just schlimm zu sein, aber wegen Ihrer trüben Meinung und Ihrer geringen Vorsicht. Sie haben doch wahrhaftig so enorm viel & Großes geleistet, daß Sie sich jetzt nicht mehr zu überarbeiten & eine Badekur zu überstürzen das Recht haben. Ihrer Familie, Ihren Verehrern, sich & Ihrer Sache sind Sie da wirklich mehr Rücksicht schuldig & darum hätte 1906 recht viel far niente, auch wenn es nicht dolce ist. Sie müssen sich die Zeit gönnen, die allein Ihre überarbeiteten Nerven bei richtiger Ruhe heilen kann. – Daß Sie September in Baden & nicht zu Hause waren, ist mir insofern || eine Beruhigung, als ich darunter litt, im September in Deutschland gewesen zu sein, ohne nach Jena zu können. Ich war mit meiner Frau vom 20 Juli bis Anfang September in Schweden & Norwegen & für die Rückreise hatten wir mehrere langersehnte Besuche in Deutschland in unser Programm aufgenommen, darunter oder richtiger zu oberst: Jena. Aber die Tücke des Schicksals, in Gestalt einer sich von neuem werdenden, im Frühjahr überstandenen Mittelohrentzündung meiner Frau, nöthigte leider zu rascher Weiterfahrt an mancher Anziehung, um bald nach München zu einem uns bekannten Ohrenarzt zu kommen. So unterblieb die Anfrage ob Sie zu treffen wären & unterblieb der Besuch selbst & insofern benimmt uns Ihr Brief wenigstens den Gedanken, daß wir Sie unter besseren Umständen hätten sehen können. – Die Skandinavische Reise hat uns sehr befriedigt; wir kamen nach vielen Kreuz- und Querfahrten in Schweden & dann Norwegen || allerdings nur bis Drontheim, uns den hohen Norden für ein andres Mal aufsparend; aber im Lande haben wir viel gesehen, dank auch mehrfacher persönlicher Beziehungen im Lande. Auch war mir die Zeit der hohen politischen Spannung sehr intressant, zumal damals der Abschluß nicht so nah & nicht so zahm erschien, wie ihn König Haakon nun etwas operettenhaft gebracht hat.

Ich weiß nicht ob & wie weit hinauf Sie den Norden kennen. Wenn Sie im Sommer keine bestimmte Kur vorhaben, wäre ein Aufenthalt in einem der vortrefflichen norwegischen Sanatorien sehr zu empfehlen. Die Umgebung ist doch höchst intressant, auch ohne weit herum zu reisen, & der Aufenthalt sehr angenehm, weil mehr als in der scheußlich überfüllten Schweitz & dem nicht viel besseren Tirol und für Sie ist ja die Reise nicht so schauderhaft weit wie für uns. In den wundervoll eingerichteten Pensionen bei Christiania, z. B. auf Hollmeskollena oder || Voxenkollen, bezahlt man nur bei vorzüglicher Verpflegung 6 Kronen Pension, also Mk. 6’70. Lage, Luft, Spaziergänge sind höchst zusagend, die Gesellschaft müsste freilich erst erprobt werden.

Sehr intressirt hat mich das Büchel von Gramson und ich danke Ihnen herzlichst dafür, weil ich darin aus Ihrer Hand etwas erhalte, was mit meinen Gedanken über Ihre Philosophie vielfach übereinstimmt. Ich habe jetzt mehr Zeit, wohl etwas spät damit beginnend, für meine Ausbildung zu sorgen & habe mich der Geschichte ergeben, die mich immer zumeist anzog. Die Naturwissenschaft ist zu ihrem Studium nicht zu entbehren, aber ihre Heranziehung zur Beantwortung geschichtlicher Probleme auf der Berührungsfläche beider, der Sociologie, muß mit äußerster Vorsicht gesehen, um nicht bloße Bilder & Vergleiche || für Wahrheiten zu nehmen. Und für die erst geschichtlichen Institutionen sind mir Ihre Constructionen oft zu natürlich, zu einfach hingestellt, wie Sie dem historisch Gewordenen nicht genug Raum geben. Wenn etwas im heutigem Stadium auch absurd erscheint, wie heute das Christenthum & vieles Andre; daß es geworden, gibt ihm die Berechtigung zum Fortbestand und an & für sich bis die Menschen darüber hinauswachsen. Weil ich dieses Wachsthum wünsche, nicht weil ich bestehendes in ungeschichtlicher Weise abgeschafft möchte, bin ich Ihr Anhänger. Die Menschheit schreitet vorwärts, aber sehr langsam, sowohl dem Inhalte der höheren Erkenntniß nach, als dem Umfange der Antheilnahme daran. –

So haben mich auch Ihre Berliner Vorträge ungemein gefesselt, mit denen Sie die Zunft gehörig aufgerüttelt haben. Ich war bald darauf, leider ganz flüchtig in Geschäften, die mich immer noch nicht freigeben, in Berlin & hörte manches darüber. Nun ich haße alles Pfaffenthum so gründlich, || daß mich jede ihm versetzte Ohrfeige freut; aber doch frage ich mich, warum Sie z. B. dem armen Wasmann so hart zusetzen, der aber den letzten Schritt nicht machen kann & darf, wenn er in der S. J. bleiben will & vielleicht muß. Dem Jesuitismus schadet aber der Wasmann, der sich zur Descendenztheorie bekennt & Jesuit bleibt, mehr, als der ausgeschiedene Graf Hoensbröch. Jenes ist Knochenfraß im eigenen Leib, der die Anhänger scheu macht & an dem das Luder doch schließlich eher crepiren wird, als an vereinzelten Keulenschlägen. Und dieses schließliche Crepieren ist viel wichtiger, als der momentane Eclat & Erfolg seiner Gegner. –

Wie hat Bismarck zurückgehalten mit dem Ausposaunen seiner Erfolge? Heute erst begreift die Welt wie er Oesterreich & dann Frankreich besiegt hat; damals machte er beide glauben, daß sie nicht viel mehr verloren hätten, als einige Schlachten. –

Nun aber basta! Von Frau & Valentine & meiner Mutter beste Grüße & Wünsche für Ihre Gesundheit. Meine Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin & wenn Sie wieder nach Süden, lassen Sie mich’s wissen. Vielleicht kann ich Sie besuchen.

Wie Jederzeit Ihr Sie in Verehrung liebender

G. Krauseneck

a korr. aus: Hollmeskollem

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
21.11.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27808
ID
27808