Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 29. Juni 1893

Triest, am 29. Juni 1893.

Verehrter Herr Professor!

Es ist mir selbst nicht erklärlich, warum ich mich bei Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin ganz aus dem Gedächtniß gebracht haben könnte, da ich doch vielmehr so sehr den Wunsch habe, bei Ihnen in guter Erinnerung zu stehen. Die so beruhigenden & erfreulichen Mittheilungen über Ihr Befinden nach der Attaque in Italien hätte ich mit recht unerfreulichen Nachrichten über uns beantworten müßen und dazu war ich exceptionell in Anspruch genommen. Mein armer Vater ist sehr leidend und der täglich schwächer werdende Körper drückt auch seinen früher so lebhaften Geist || nieder und benimmt ihm jede Lebensfreude. Er ist sehr gealtert und empfindet die Abnahme seiner Kräfte mit steigendem Schmerz. – Meine Frau brachte von unserem Ausfluge eine Phlebitis mit, die hartnäckig, trotz größter Schonung, und langwierig sie recht quälte. Nun scheint die Sache überwunden & sie soll ein warmes Bad in Steyermark besuchen, wo ich mich durch eine Kaltwassercur von dem Aktenstaub des Jahres frei machen will.

Ich habe die letzten Wochen eigentlich auf den Altar des Vaterlandes geopfert, der immer zunehmende Irredentismus in unserer guten Stadt, d. h. die unedle Vorstellung, daß es unter || italienischer Herrschaft beßer sein könnte, zieht immer weiter Kreise und so müßten auch die, welche die Dinge vorerst laßen möchten wie sie sind & in der Tripelallianz nicht den Quell alles Übels sehen, sich etwas zusammenthun.

Es ist aber ein böses Geschäft, einen vernünftigen Standpunct unter die Leute bringen zu wollen. Ist es denn wirklich möglich, daß kaum 20 Jahre nach dem Krieg in Deutschland Pfaffen & Socialisten die stärksten Parteien sind? Als Erscheinung ist das sehr traurig, als Symptom vielleicht nicht so sehr, denn es bedeutet den gänzlichen Untergang des bisher herrschenden unhistorischen Freisinns, der so viel || geschadet & doch hauptsächlich den Materialismus bekämpft hat. Die Pfaffen & die Anarchisten aber erobern die Welt doch nicht – und so glaube ich noch an ein stetes Besserwerden.

Ich habe mir erlaubt, Ihnen eine Kiste zu schicken mit einer Probe meines Eigenbaus, der Ihnen hier geschmeckt hat. Ich mußte damit warten, weil das Faß nicht flaschenreif war. Dürfen wir hoffen Sie bald wieder zu sehen?

Von meiner Frau, meinen Eltern, Valentine an Ihre verehrte Frau Gemahlin & Sie die herzlichsten Grüße, denen ich mich anschließe und in gewohnter Verehrung Ihnen einen guten Sommer wünschend

Ihr ergebenster

Gust. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
29.06.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27784
ID
27784