Lehmann-Russbüldt, Otto

Otto Lehmann-Russbüldt an Ernst Haeckel, Berlin, 25. September 1913

BERLIN W50, DEN 25. September 1913

REGENSBURGERSTR. 30

Ew. Excellenz!

Hochverehrter, lieber Herr Professor Häckel!

Ich habe zu meinem grossen Bedauern gehört, dass der Diener am vorigen Freitag im Phyletischen Museum eine Stunde gewartet hat. Ich erwachte nämlich erst um ¼11 Uhr, trotzdem ich sonst ein Frühaufsteher bin. Die Volksversammlung am Donnerstag währte nämlich bis ¾2 Uhr in der Nacht, so dass ich erst um 3 ins Bett kam. Ausserdem war ich in den Tagen vorher mit Vorbereitungen für die Versammlung sehr beschäftigt. Wenn ich wieder nach Jena komme, werde ich mir auch das Archiv ansehen, das Museum habe ich ja schon öfter besichtigt. Auf dem Naturforschertag in Wien ist Ihre Kundgebung verlesen worden. Professor von Frisch hat hochinteressante Ausführungen über den Farbensinn der Tiere gemacht. Neben meiner Arbeit finde ich immer noch Zeit, diese Sachen zu verfolgen, die mich persönlich viel mehr interessieren als der Zank mit der Kirche. Meine Arbeit hat mir aber trotzdem den Verdacht eingetragen, dass ich früher Theologe gewesen sei, worüber ich beinahe sehr wütend geworden wäre. ||

Heute schreibe ich an Sie in folgender Sache. Der Reichstagsabgeordnete, früherer Pastor Mumm hat mich wegen Gotteslästerung vor den Staatsanwalt gebracht. Ich habe nämlich in einem Bericht über eine Flugblattverteilung gesagt, dass man sich zwar über die Möglichkeit der Entstehung der Welt durch einen Schöpfer allerlei ernste und tiefe Gedanken machen könne, dass das aber garnichts mit dem zum Teil vollkommen bewussten Schwindel zu tun habe, den uns die Landeskirchen mit dem Apostolikum vormachen.

Nun habe ich mein Beweismaterial zwar gut beisammen, gern hätte ich aber von Ew. Excellenz noch eine Bestätigung über folgenden Umstand:

Mir erzählte einer meiner Sachverständigen, der für mich aussagen wird, der sehr bekannte kirchlich-liberale Schriftsteller Theodor Kappstein, dass Sie Mitte April 1905a bei den Vorträgen in der Singakademie gesagt hätten, das Papsttum wäre der grösste Schwindel oder einer der grössten Schwindel der Weltgeschichte. Die Sache soll im „Berliner Tageblatt“ gestanden haben. Ich will versuchen, mir diese Nummer zu besorgen. Wenn es Ew. Excellenz aber nicht zu viel Mühe macht, so würde ich bitten, mir diese Tatsache in einem Brief zu bestätigen. Der Prozess ist bereits auf den 30. September angesetzt.

In herzlicher Verehrung erlaubt sich Ew. Excellenz einen Gruss zu senden

Ihr Otto Lehmann-Russbüldt

a gestr.: 1907 oder 1908; eingef.: Mitte April 1905

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
25.09.1913
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27468
ID
27468