Arnold Lang an Ernst Haeckel, Zürich, 30. Dezember 1892
Mein verehrter Lehrer und Freund!
Für die Zusendung Ihrer prächtigen Rede sage ich Ihnen herzlichen Dank. Ich habe dieselbe mit sehr grossem Genusse gelesen und mich besonders auch über die verdiente Züchtigung des Renegaten Hamann gefreut. Ich hörte davon sprechen, dass die preussische Regierung diesen widerwärtigen Menschen mit der Marburger Professur belohnen wolle. Hoffentlich bewahrheitet sich dieses Gerücht nicht.
Ich sitze an den Echinodermen, komme aber nur langsam vorwärts. Es ist unglaublich viel gestreutes Material zu sichten und ich weiss fast nicht, woher ich die dazu nöthige Zeit hernehmen || soll. Die Arbeitslast nimmt eher zu als ab. Das Laboratorium ist überfüllt. Glücklicherweise habe ich einen sehr tüchtigen Assistenten.
Ich glaube, ich habe Ihnen noch nicht geschrieben, dass ich in Gemeinschaft mit Prof. Stöhr (der zu Weihnachten seine Gattin durch jähen Tod verloren hat) einen zoologisch anatomischen Referirabend gegründet habe, der seit zwei Jahren vorzüglich funktionirt und immer mehr blüht. Es nehmen an demselben auch der patholog. Anatom (Prof. Ribbert) und zahlreiche jüngere Anatomen Zoologen Botaniker u.s.w. theil.
Der Jenenser Referirabend ist mir in steter bester Erinnerung und ich bitte Sie, allen Mitgliedern desselben meine herzlichsten Grüsse mitzutheilen. ||
Wir stecken in den Vorarbeiten für den Neubau eines Museumsgebäudes mit biologischem Institut. Vielleicht werde ich während der Frühjahrsferien eine Rundreise ausführen, um einige der grösseren ausländischen Museen zu studiren. Dabei werde ich vielleicht auch mein geliebtes Jena kurz besuchen können, vielleicht zusammen mit meiner Frau, welche ebensogrosse Anhänglichkeit an Jena besitzt, wie ich selbst. Ich habe ihr zu Weihnachten ein „Bon“ für eine Reise nach Jena geschenkt.
In der Schweiz herrscht grosse Erbitterung gegen Frankreich wegen der Ablehnung des Handelsübereinkommens. Es ist das ganz gut so, denn nach der Wohlgemuthaffaire hat man sich zu stark nach der französischen Seite geneigt. ||
Meinen beiden Kindern geht es recht gut. Die jüngere hat vor kurzem operirt werden müssen. Sie hatte einen offenbar congenit. torticollis. Die Operation (Prof. Krönlein, Durchschneidung des linken sternocleido) ist ausgezeichnet geglückt und das Kind trägt den Kopf jetzta fast völlig gerade.
Wollen Sie mich und meine Frau in gütige Erinnerung zurückrufen und wollen Sie selbst, verehrter und lieber Lehrer, unsere herzlichsten und wärmsten Glückwünsche zum Neuen Jahre freundlich entgegenzunehmen.
Ihr alter treuer Ritter-Professor
Arnold Lang.
Zürich 30. Dez. 1892.
Grüssen Sie auch, bitte, bestens den Geh. Rath Pohle und Familie
a mit Einfügungszeichen eingef.: jetzt