Ehlers, Ernst

Ernst Ehlers an Ernst Haeckel, Göttingen, 28. Juni 1860

Liebster Häckel!

Ihre Bitte um möglichst rasche Beantwortung Ihres Briefes vom 26ten, den ich heute erhielt, eile ich aus egoistischen Gründen umgehend zu erfüllen. Ich habe allerdings nur den Ocularmikrometer allein nötig, und bitte Sie daher, dem [!] Mechanikus wissen zu laßen, daß er für mich einen solchen anfertigt und ihn mir in einer hölzernen Kapsel zugehen läßt; den Preis dafür mag er dann durch Postvorschuss auf mich gleich erheben. Damit hoffe ich denn möglichst bald im Besitz desselben zu sein; daß der Mikrometer nur so groß wird, daß er im Tubus meines Mikroskopes sich etwas verschieben lässt, einen geringen Spielraum hat, darauf haben Sie den Mechanikus, wenn er nicht selbst so viel Einsicht hat, aufmerksam gemacht. – Und so nehmen Sie nun noch meinen besten Dank für diese Ihre Freundlichkeit. –

Daß Ihre Braut doch nicht so ganz wohl ist, tut mir herzlich leid; doch denke ich cessante causa cessat effectus; Sie sind ja nun wieder da, da wird sich auch wohl das frühere Wohlsein wieder einstellen. – Übrigens sind Sie doch ein rechter Glückspeter! Sogleich einen || Verleger zu finden, der 30 Tafeln übernimmt, und dann noch von Wagenschieber gestochen. Wenn das Bartels in Messina hört, so wird er brummen, daß mit solch unnützen Bestien solcher Aufwand getrieben wird; Denken Sie mal an seine Redensarten, wenn wir Sie mit beliebtem Indianergeheul und Türgetrommel zur Essenszeit überfielen, daß der chiave fast in Ohnmacht fiel vor Schreck. Der arme chiave mit seinen matten Augen, was ist wohl aus ihm geworden in diesen Zeiten? Bartels hat allerdings, da er in Messina geblieben ist, in der nächsten Zeit einige a Chancen für sich; ob er aber der Mann sein wird, sich in die Verhältnisse, die kraus genug sein und noch werden mögen, zu fügen und zu seinem Vorteil auszunutzen? Allzuviel Geld wird allerdings den Garibaldianern auch wohl nicht zu Gebot stehen, aber so vielleicht eine Zeit lang Generalstabsfeldarzt der sicilianischen Armee zu sein, dürfte doch sein Angenehmes haben! – Ich hätte schon längst nach Messina geschrieben, aber ich glaube, so lange wie die Stadt in den Händen der königlichen Truppen ist, wird es mit der Briefbeförderung wohl faul aussehen! – In diesen Tagen erwarten wir nun auch unsere diversen Sachen aus Messina; sie sind noch zur rechten Zeit mit einem Peters’schen Schiffe abgegangen, und wir haben gestern schon Nachricht aus Hamburg, daß sie auch bereits von dort || abgesandt sind. Äusserst neugierig bin ich, wie sich die Liqueursachen gehalten haben. – Unsere Arbeit über Siphonophoren ist grade heut im Brouillon fertig geworden, und wird bald zum Druck gehen; wenn anders Kölliker sie aufnimmt. – Sie schreiben viel von Keferstein’s Verlobung, davon verlautet nichts; das Verhältnis ist hier allerdings lange stadtbekannt und wohl hinreichend beklatscht; bis jetzt weiß ich aber offiziell noch immer nichts, und werde ihm gegenüber auch mein altes Schweigen fortsetzen; es amüsiert mich, ihm gegenüber den Nichtswissenden zu spielen; interessant war’s, wie mir das Mädchen die schöne Broche zeigte, die er ihr aus Rom mitgebracht hatte. Aus diesem Grunde habe ich auch außer dem Gruße keinen Ihrer anderen Aufträge und Anfragen ausgerichtet. – Sie fragen, ob mir auch die hiesigen Verhältnisse so kleinlich vorkommen? Das will ich meinen; glücklicher Weise giebts für mich viel Arbeit, und das beschäftigt hinlänglich, und lässt keine Zeit, sich in diese Kleinigkeitskrämerei hineinzustürzen; hätte ich Zeit, so würde ich es tun, denn es ist doch interessantb, so manchen Mann, der sich in seinem Kreise wie ein Gott fühlt, näher ins Auge zu faßen, und sein großes Gebaren zu studieren! Aber wir c || haben gut spotten, und bedenken nicht, ob den unsere eigenen Interessen nicht auch kleinlich sind? oft will es mich allerdings bedrücken, als ob ich in der Sache nur recht fein s’Maul halten sollte, um nicht als ein lautkrähender Hahn auf nem’ kleinen Misthaufen zu erscheinen. – Was mich aber im höchsten Grade erbärmlich berührt, das sind unsere politischen Zustände, Hannover befindet sich jetzt in einem Zustande politischer Unzurechnungsfähigkeit; bei Ihnen scheints doch noch vorwärts zu gehen. Worte und weise Reden giebts genug, kannegiessern kann jeder Politiker, als ob er alle Weisheit mit Löffeln gefressen hätte; aber handeln! handeln! da liegt der Hase im Pfeffer. S’ist aber leider schon lange so gewesen, und bleibt vielleicht noch lange so. – Ein politisch Lied, pfui ein garstig Lied! Lieber römische Elegien mit römischen Photographien zu Seite, das sind herzenskundige Tröster; und dann zud Zeiten mal ein Stück aus Coletta’s Geschichte von Neapel, damit man diesen Gefühlen ein Gegengewicht geben kann. Leider sind die Minuten, die ich dem widmen kann, sehr spärlich.

Und da habene Sie nun einen langen Brief, dem ich noch rasch einen Gruß von Keferstein anfügen muss. Haben Sie Lust und Zeit, so laßen Sie bald von sich hören. Von Herzen

Ihr Freund

E. Ehlers.

Göttingen 28.6.60.

a gestr.: Ze; b korr. aus: interessand; c irrtüml.: ha-; d korr. aus: zur; e korr. aus: dochaben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.06.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2695
ID
2695