Gude, Karl

Karl Gude an Ernst Haeckel, Magdeburg, 18. März 1894

Magdeburg, den 18 März 94.

Mein lieber Freund!

Zunächst bitte ich tausendmal um Entschuldigung, daß ich Deinen lieben Brief jetzt erst beantworte. Er hat mir viel Freude bereitet, ebenso die Photographie und die Beilage zu der Jenaischen Zeitung. Abgehalten durch die sofortige Beantwortung [!] Deiner lieben Zeilen wurde ich durch mancherlei, insbesondere durch Briefe in Familienangelegenheiten, die schon vor dem Geburtstage eingelaufen waren u. von dem faulen Briefschreiber endlich beantwortet werden mußten, besonders aber auch durch die angreifende Geburtstagsfeier, die ich jetzt noch nicht ganz überwunden habe, wozu vielleicht die scharfe Märzluft mit beiträgt. Kommt ein alter, knarrender Wagen aus dem gewohnten Gleise, dann knarrt er um so mehr. Am liebsten hätte ich meinen Geburtstag ganz || in der Stille gefeiert. Ich liebe keinerlei Oration. In der Magd. Zeitung war aber ohne mein Wissen u. ganz gegen meinen Wunsch in einem längeren Artikel auf meinen Geburtstag aufmerksam gemacht worden, und so kam es, daß 3 Tage hinter einander Gratulanten erschienen, indem eine Reihe derselben sich gesagt hatte, wir wollen den alten Knaben nicht zu sehr aufregen und lieber morgen erscheinen. Durch den Artikel in der Zeitung war aber die Kunde von meinem achtzigsten Geburtstage auch nach außen gedrungen, so daß der Briefträger fortwährend in meine sonst so stille Stubea eintrat, teils mit Telegrammen, teils mit Briefen, teils mit Postkarten, und da die persönlichen Vorstellungen oft schon gleich nach 9 Uhr begannen u. bis nach 12 Uhr währten, so war ich dann so erschöpft, daß ich die Stube verschloß u. trotz alles Klopfens || die Thür nicht öffnete. Unter den eingelaufenen Briefen u. Karten fanden sich viele Namen aus fast vergessener Zeit, so daß ich mich oft erst besinnen mußte. Verloren geht doch nichts im Gedächtnis – aber wo steckt es? Unwillkürlich fielen mir Chamissos Worte ein:

„Ich träume als Kind mich zurück

Und schütt’le mein greises Haupt;

Wie sucht ihr mich heim ihr Bilder

Die längst ich vergessen geglaubt.“

Auch Dein lieber Brief hat eine Reihe Erinnerungen aus Merseburg wach gerufen, die plötzlich ganz lebendig vor mir standen: wie Du mit dem Federhelm auf dem Haupte und mit dem Degen an der Seite neben mir am Tische saßest und das Lesen, Schreiben u. Rechnen erlerntest; wie Deine liebe, gute Mutter abends öfter den Thee bereitete u. servierte, wenn sie Wiecks, Hieckes, Schwarz u. auch meine Wenigkeit eingeladen hatte. Ich sehe sie lebendig vor mir stehen u. höre Deinen Vater von den Lützower Jägern erzählen, zu denen er auch || gehörte. Ein Wort des Herrn v. Basedow, welcher Hausarzt bei dem Sekretär Stein, bei welchem er wohnte, war, ist mir bei meinem Geburtstage ebenfalls wieder eingefallen. „Schaffen sie sich den Todescandidaten aus dem Hause! Der hört den Kuckuck nicht wieder rufen“, hatte er hinter meinem Rücken zu Steins geäußert, als ich einige Wochen hindurch unwohl war. Steins erzählten mir dieses später wieder. Und der Todescandidat hat das 80. Jahr erreicht u. läuft noch jeden Tag 2-3 Stunden spazieren.

Die Karte an Fräulein Elise Hahn, bei der ich sonnabends mit Fräulein Schreiber – auch einer früheren Schülerin u. zugleich Collegin – regelmäßig den Kaffee einnehme, habe ich gestern abgegeben. Zu meinem Geburtstage hatte das stets heitere u. Freude bereitende Wesen mir eine große Zahl Danksagekarten geschenkt, u. hat dann dieselben auch adressiert u. abgeschickt. Sie hat mir dadurch einen großen Dienst erwiesen, wie denn überhaupt die beiden Damen schon viele Jahre hindurch mir die Arbeit der Durchsicht der Correkturbogen überhoben haben. Der Sonnabend ist mir stets ein freundlicher Sonnenblick in meinem Lebensabend. Nun nochmals vielen Dank, mit dem ich zugleich die Bitte ausspreche die Deinen herzlich zu grüßen.

Dein

K. Gude.

a korr. aus: mein sonst so stilles Stübchen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.03.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 268
ID
268