May, Walther

Walther May an Ernst Haeckel, Karlsruhe, 14. Februar 1919

Karlsruhe, 14.2.19.

Hirschstr. 105

Sehr geehrter Herr Geh. Rat!

Ihre trüben Prophezeihungen vom vorigen Jahr sind also nicht in Erfüllung gegangen, und zur Freude Ihrer zahlreichen Verehrer und Freunde ist Ihnen nun auch Ihr 85. Geburtstag noch zu erleben vergönnt. Ich bringe Ihnen dazu meine herzlichsten Glückwünsche dar mit der erneuten Versicherung, dass ich nie vergessen werde, wieviel ich Ihnen zu verdanken habe. ||

Vielleicht interessiert es Sie, zu vernehmen, dass ich mich am 26. September d. J. verheiratet habe, nach gerade 19 jähriger Verlobung. Bisher liessen die Verhältnisse und gesellschaftlichen Vorurteile die Heirat nicht zu. Meine Frau ist nämlich Kleidermacherin, und ich konnte sie nur heiraten, wenn sie ihren Beruf nicht aufgab, da ja meine Verhältnisse nicht danach sind, eine Frau zu ernähren. Nun haben wir die Kriegslage benutzt, den lange geplanten Schritt zu tun, und die bald darauf erfolgte Umwälzung ist unserem Bund noch ganz besonders zugute gekommen. Niemand nimmt jetzt daran Anstoß, dass meine Frau sich als Schneiderin ihr Brot verdient.

Herzliche Grüße sendet ihr dankbarer Schüler W. May.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 26433
ID
26433