Monjé, Paula (1849-1919)

Paula Monjé an Ernst Haeckel, Düsseldorf, 23. Januar 1919

Düsseldorf 25 Rochusstrasse

23/1 1919.

Hochgeehrter Herr Professor!

Wenn Sie von Ihrem Balkon hinauf schauen zu dem Berg mit dem rötlich strahlenden Gipfel, dann denken Sie auch wohl an den erschütternden Schluß des Gedichtes, wo aus der blühenden Stadt eine Einöde ward, so ist es mit unserm Deutschland! Keine Entwicklung, Rückkehr in den Urbrei. Und was glauben Sie nun? An eine einzige Gerechtigkeit, an Zufall, an Vorbestimmung? Wie halten Sie es für möglich, daß man diese grausigen Zustände annehmen resp. sehena kann, wenn sie nicht vorbestimmt sind? Ich will Ihnen mal was erzählen. Da Sie nicht arbeiten, haben Sie ja wohl Zeit, zu lesen. Ich will Ihnen denn auch zum Schluß sagen, was ich denke, nicht || über mich, sondern über Deutschland. Also, ich [war] vor 5 Jahren im Februar schwer krank, erblindet, und nur nach wochenlangem Aufenthalt im Krankenhaus noch krank nach Meran geschickt worden. Ich konnte wieder sehen, aber nichts recht zusammenhängend, so daß ich nicht malen konnte. Aber der Schein in der Natur sah ich mit lechzendem Blick, und nahm es mit in mein Herz, wo ich gieng und stand. Mein Befinden war aber jammervoll, so daß ich auf der Rückkehr direct durch Süd Thüringen zu meinem Helfer Israel nach Berlin reiste. Ich fuhr in den vollen deutschen

Frühling – es war so lange kalt gewesen, so daß Mandeln, Birnen, Kirschen Aepfel auf einmal blühten – mit einem Schlag blühte alles und nach 8 Tagen hatten wir dann || vollste Sommertemperatur. So ein deutscher Frühling in dem schönen Salonwagen 1 Klasse blühte in die Fenster hinein, ich war so voll Begeisterung wie selten in meinem Leben – eingebettet die Dörfchen in Blüten. Die Erde eingebettet in tiefes Himmelsblau, singen und klingen von Schönheit und Kraft, allüberall. Als ich in Berlin ankam, sagte ich zu Israel, ich bin ein Stück durch das Paradies gefahren, da lohnt sichs wohl krank zu sein. Das war also Anfang Mai. Ich blieb aber den ganzen Sommer krank, konnte mich nicht erholen, und Israel, der wohl meinte, die Kriegsschrecken zögen sich hier am Rhein zusammen, schickte mich ein paar Tage vor Kriegsausbruch nach Gurnigel oberhalb Berns, wo ich gerade ankam, als alle Deutschen nach Hause flüchteten. Das war eine schreckliche Zeit. || Durch die furchtbaren Aufregungen wurde ich wieder krank, und stürzte vor versammeltem Publikum aus aller Herren Länder ein paar Tage nachher mit dem Ruf „mein armes Vaterland“ bewußtlos auf der Terrasseb zusammen, und war 8 Stunden völlig bewußtlos. Sie sehen, ich habe für Deutschland gelitten. Nun kamen Träume, schöne und schreckliche. Einer war so:

Ich fuhr an einem Blütentag so wie im Frühling durch Thüringen, voll Entzücken, da schaute ich zum Fenster nach rechts nach Osten, nur war da eine graue Nebelwand bis zum Zenith reichend, und in derselben auf einer Mauer und auf Baumästen furchtbares Getier, Schlangen, Drachen-Geier, alles noch durcheinander gewirrt – und als ich durch das andere Fenster nach Westen schautec, dieselbe furchtbare Mauer und nach Norden schauend begrenzte das Sonnenbild Deutschlands ein Strich blauer Ostsee! Da hob sich langsam || aus dem Meer eine Gestalt, und näher und näher so hoch wie die Mauer bis in den Zenith hinein Bismarck in schwarzem schlappendem Gewand, mit furchtbar ernstem Blick den rechten Arm erhoben nach Südosten zeigend, ich fühlte den Finger, das Auge auf mich gerichtet, und mit einem furchtbaren Schreckensschrei wurde ich wach! Dieser Traum hat mich verfolgt – zu Bismarcks 100sten Geburtstag machte ich ein Gedicht – suchte die Lösung, fand sie aber nicht – darin sagte ich auch: „ein Gesicht wie ein Gericht!“ Ich brachte es erst Tage später in Frankfurt der Redaktion der Frankfurter Zeitung. Der Redakteur meinte, schade, hätten wir den 1 April gehabt, so hätten wir es gebracht, jetzt hat es keinen Zweck mehr. ||

Darin ist alles, wie es kam – auch unser Preussen, unser Hohenzollernstamm! Ein Bismarck, ein Wilhelm I., die haben Deutschland groß gemacht, Deutschland hat an ihnen sein Mark!

Man müßte jetzt jung sein, um hoffen zu können!

Aber Gott ist da! Ob persönlich, ob unpersönlich gegen uns, und spricht im Donner zu uns!

Gott helfe uns allen, helfe Deutschland!

Ihre Sie verehrende

und herzlich grüßende

Paula Monjé.

a eingef.: resp. sehen; b eingef.: auf der Terrasse; c eingef.: schaute

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.01.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 25853
ID
25853