Gude, Karl

Karl Gude an Ernst Haeckel, Magdeburg, 8. November 1871

Magdeburg, den 8ten Novb. 71.

Mein lieber Freund!

So ist mir denn die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches, Deinen lieben Vater noch einmal zu sprechen, zur Unmöglichkeit geworden. Der Tod ist rascher gewesen, als ich. Gedacht habe ich des nun Dahingeschiedenen oft, namentlich in der Kriegszeit, und mich gefreuet, daß er unser glorreichen Siege noch erlebt hat. Ich kann mir denken, wie lebhaft er daran Antheil genommen, trotz seines hohen Alters. War es doch wieder derselbe Feind, gegen den er in seiner Jugend in heißen Kämpfen gestritten, und wieder ein Napoleon, der das eitele französische Volk gegen uns führte, um Deutschland vielleicht für immer zur Ohnmacht zu verdammen und zum Vasallen Frankreichs zu machen. Wie bitter würden Deinem Vater die alten Tage geworden sein, wäre es anders gekommen, hätte das jetzige Geschlecht ihn um die Mühen und um die Strapazen || betrogen, die er in dem schweren Dienste um das Vaterland erduldet hat. Mit Freude hat er können in die Grube steigen. Und sie haben einen edlen Mann begraben; Dir war er mehr. Deine liebe Mutter, die am härtesten getroffen ist, wird wohl in Berlin bleiben, und so hoffe ich, sie sowohl wie Deinen Bruder in den Osterferien zu sprechen, da ich mir vorgenommen habe, dann nach Berlin zu reisen, wohin ich seit vielen Jahren nicht gekommen bin.

In den letzten Monaten habe ich viel zu thun gehabt, namentlich durch Vertretung kranker Collegen, daher hat sich denn auch keine Zeit finden wollen, Dir früher zu schreiben. Daß Gandtner nach Berlin als Provinzial-Schulrath versetzt worden ist, hast Du vielleicht noch nicht gehört. Mir scheint, als ob man mit seiner Ernennung zum Schulrat den Realschulen eine Conzession gemacht habe, denn bis jetzt ist meines Wissens noch || kein Mathematiker zum Schulrath gemacht worden. So weit ich Freund Gandtner kenne, kann man seine Ernennung nur billigen. Wir kommen immer einen Schritt weiter; nur in socialer Beziehung gehen wir leider rückwärts. Alle Verhältnisse sind mehr oder weniger gelockert, sowohl die der Dienstboten zur Herrschaft, wie die der Gesellen und Lehrlinge zu ihrem Meister, der Fabrikarbeiter zu den Fabrikanten, der Untergebenen zu den Vorgesetzten. Nur beim Militär ist zum großen Glück noch strenge Subordination. Sicherlich sind ja in vielen Fällen die erhöhten Forderungen berechtigt, oft aber auch übertrieben und unausführbar. Das Schlimmste aber ist, daß auch der Sinn für Pietät, für Anhänglichkeit und für ein bescheidenes Fügen in die Verhältnisse verloren gegangen ist, und sich dagegen ein Streben nach absoluter Gleichheit geltend gemacht hat. Diese läßt sich nun einmal auf unserem || Erdkörper nicht herstellen, der in seiner Verschiedenheit des Klimas, der Bodenbeschaffenheit, des geographischen Ausbaues der einzelnen Länder etc. nichts weniger, als demokratische Gleichheit predigt. Auch ist es nicht wahr, daß alle Menschen mit gleichen Anlagen geboren werden. Es kann nur unsere Aufgabe sein, die Ungleichheit so erträglich als möglich zu machen, was aber den Socialisten, die dem Kapital den Krieg erklärt haben, nicht genügt. Hoffentlich sind die gegenwärtigen socialen Wirren nur eine Übergangsperiode, sonst ist alle so mühsam errungene Cultur verloren.

Der Humboldts-Verein in Magdeburg hat bis jetzt noch wenig Lebenszeichen von sich gegeben. Es existiren der Vereine zu viel, darum kommt es in keinem zu einem rechten Leben. Deine Schriften hat der Dr. Schreiber mit vielem Vergnügen gelesen. Vielleicht sieht der Verein Dich einmal in Magdeburg. Also auf Wiedersehen! Unter herzlichem Gruß und alter Liebe

Dein

Karl Gude.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.11.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 258
ID
258