Metze, Erich A.

Erich Metze an Ernst Haeckel, Steglitz, [Mai 1911]

Hochzuverehrender Herr Geheimrat !

Ew. Exzellenz wollen mir freundlichst verzeihen, wenn ich, ohne Ihnen persönlich bekannt zu sein, Sie mit einem Anliegen behellige. Ich würde niemals den Mut hierzu gefunden haben, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß die Sache, die ich vorzutragen habe, auch bei Ihnen ein warmes Interesse finden wird.

Als im Oktober vorigen Jahres die Berliner Universität ihr 100jähriges Jubiläum feierte, da teilte der Deutsche Kaiser der Festversammlung mit, daß sich unter seinem Protektorat eine nach ihm benannte Gesellschaft zur Begründung und Unterhaltung wissenschaftlicher Forschungsinstitute an der Berliner Universität gebildet habe. An sich ist dieses Vorhaben nur zu begrüßen, || denn für die so oft vergewaltigte Wissenschaft kann ja nie genug getan werden. Ganz anders ist es aber mit dem Plane bestellt, diese Institute in der Reichshauptstadt anzulegen. Berlin hat, und das läßt sich ja aus vielerlei Gründen begreifen, die Tendenz sich in jeder Hinsicht an die Spitze Deutschlands zu schwingen. Das gilt nicht nur im politischen und kommerziellen sondern auch (ganz besonders jetzt) im geistigen Leben. Und damit gelangt Deutschland in dasselbe verderbliche Fahrwasser, dem Frankreich den Niedergang seiner einst so bedeutenden Wissenschaft verdankt. Berlin darf nicht Paris werden! Die deutsche Wissenschaft muß sich dezentralisieren! Sonst ist es um sie geschehen! Warum baut man die betreffenden Institute || nicht in Koenigsberg, Breslau oder Posen, wo sie gleichzeitig ein Bollwerk gegen das Polentum und pfäffischen Obskurantismus bilden können. Berlin ist doch mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln wahrhaftig genug versehen, als daß man ihm noch neue schenkt. Jetzt geht man sogar in’s Ausland und holt einen hervorragenden Sinologen nach Berlin, damit das Pariser „Ideal“ auch in Deutschland verwirklicht wird.

Ein zweiter Uebelstand ist die große Kluft zwischen den sog. großen und den kleinen Universitäten. Während Berlin, München, Leipzig u. a. an einem übermäßig hohem Andrange der Studierenden leiden, können sich die kleinen Universitäten oft nur mit Mühe halten. Ich brauche das wohl nicht erst zu beweisen. || Hier ließe sich vielleicht Abhilfe schaffen und zwar durch folgende Einrichtung: Man teilt die Universitäten ihrer Besucherzahl entsprechend in Universitäten erster, zweiter u. dritter Frequenz. Da die Besucherzahl oft hochgradig schwankt, so müßte der „Frequenzkanon“ alle Jahre aufgestellt werden. Universitäten erster Frequenz sind z. B. Berlin u. München, Universitäten 2. Frequenz Marburg und Halle, Universitäten 3. Frequenz Erlangen und Bern. Nun darf kein Studierender an einer Hochschule erster Frequenz aufgenommen werden, der nicht mindestens 3 Semester auf einer Hochschule 3 Frequenz und 1 Semester auf einer Universität 2 Frequenz studiert hat. Mein Vorschlag müßte eventuell auf dem Deutschen Hochschullehrertag erörtert werden und die ganze Sache wäre dann durch Reichsgesetzgebung zu regeln. Auf diese || Art wären die Studierenden – Studenten, die aus wirtschaftlichen Gründen an eine bestimmte Stadt gebunden sind, könnten von diesem Zwange entbunden werden, falls sie ein testimonium pauperitatis vorweisen. – a gezwungen auch die kleinen Universitäten zu besuchen. Diese würden eine höhere Frequenz erhalten und könnten mehr für ihre wissenschaftliche und sonstige Ausstattung tun, während andererseits die großen Universitäten zwar etwas verlieren würden ohne darum gefährlichen Schaden zu erleiden.

Ich möchte mir nun gestatten, an meine Ausführungen eine Bitte zu knüpfen. Sollten Ew. Exzellenz meine Gedanken einer ernsten Diskussion würdig halten so wäre es vielleicht angebracht dieselben in einem Aufsatze (etwa in der „Frankfurter Zeitung“ oder im „Freien Wort“) zu verarbeiten. Wenn ich persönlich || davon abstehe so geschieht das nur weil man auf einen jungen Mann wohl schwerlich hört, während ein altgedienter Veteran der Forschung stets gehört wird. Auch sind Ew. Exzellenz schon oft und lange bevor ich geboren wurde gegen die geistige Vorherrschaft Berlins und Münchens eingetreten, so daß wohl niemand besser geeignet sein dürfte, (vorausgesetzt, daß meine Gedanken etwas taugen). In der Hoffnung, daß mir Ew. Exzellenz meine Kühnheit nicht verübeln verbleibe ich in ehrfurchtsvoller Hochachtung und mit aufrichtigen Wünschen für baldige Genesung von Ihrem Leiden

Ihr ganz ergebener

Erich A. Metze

Steglitz, Breitestr. 21.

a eingef. mit Einfügungszeichen *: Studenten, die… pauperitatis vorweisen.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
??.05.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 25293
ID
25293