Mulder, Lodewijk

Lodewyk Mulder an Ernst Haeckel, Breda, 11. Dezember 1858

Breda, 11. December 1858.

Mein lieber Ernst!

Wenn ich es nicht wüßte, wie fest Du von meiner Freundschaft, und in Folge deren, von meiner herzlichen Theilnahme in allem was Dir glücklich machen kann, überzeugt bist, würde ich diesen Brief mit einer langen Reihe conventionellen Excuses anfangen, die Dir, eben wenn sie nöthig wären, doch nicht überzeugen würden. Darum will ich es Dir lieber gleich sagen, wie sehr mir damals Deine Nachricht von Deiner Verlobung mit der herrlichen Anna von der ich schon so oft so viel reizendes gehört hatte, Freude machte, und wenn ich Dir nicht damals schon antwortete, lag das an dem Zusammentreffen von mehreren traurigen Umstände, die mir und meiner lieben Aldegonde tief berührt haben, und mir, wie Du es denken kannst, die Lust benommen haben, Dir, wie ich es so von Herzen wollte, einen recht frohen und muntern Brief zu schreiben. Der Tod der lieben Tante in Aurich, und 8 Tage später von der Mutter meiner lieben Frau, die nach einer Krankheit von mehr als fünf Wochen folgte, hat uns nachher natürlich recht traurig gestimmt. – Aber darum wird doch || das Glück der lieben lebenden Freunde uns immer nah am Herzen liegen. Daß Du und Deine jetzige liebe Braut einmal ein Paar werden würdet, habe ich schon lange erwartet, denn ich glaube daß sich schwerlich zwei Menschen zusammen finden würden welche so gut zu einander paßen würden. Aber − aber! − Du liebe, schöne herrliche, angebetene, mit nichts zu vergleichende, alles übertreffende, durch nichts zu ersetzende Studie der Naturwissenschaft –! Du jämmerst mir! – Denn nun muß ich mir – Deine miserabelissime Verlobung zwingt mich, nach einem andern Humboldt um zu sehen, den mein scharfer Blick schon in Dir entdeckt hatte! Was wird nun aus den schönen Reisen nach Java, nach Amerika etc?

Wirst du nun je nach Krokodillen fischen in der Nil, oder die Pflanzen des Chimborasso’s als Heu herunter tragen, oder im Luftballon empor steigen um vielleicht mitten in Afrika den tapferen Barth auf den Kopf zu fallen? Nein, das muß mir vom Herzen – um die Natur thut es mir Leid, daß Du Dich hast fangen lassen durch Amor, den Du lieber || hättest anatomisiren sollen, auch seine Flügel und Füßen in einer Flasche mit liquor gehörig etiquettirt in Deinem Museum hättest aufbewahren sollen, ehe er den Weg zu Deinem Herzen hatte finden und zurücklegen können.

Aber nun begreife ich warum Du in den letzten Jahren so für das Mikroskop schwärmtest – und ich, dummer Kerl, meinte, das war nur reine Liebe zur Wissenschaft – nein! Aber so’ne Mikroskop läßt sich so hübsch auf einen kleinen Tisch stellen, wo dann die kleine Frau so ganz gemüthlich und ganz nebenan, dabey sitzen kann; da bleibt man so zusammen, auch braucht nicht in der weiten Welt hinaus! Nee, aber das is nich so ganz dumm. – Ich hoffe nur, daß Du in den letzten Monate keine wissenschaftliche Mittheilungen in die gelehrte Welt geschickt hast über dem was Du mit Deiner Mikroskop entdeckt hast. Da würde Deine Reputation auf einmal ganz und gar verdorben sein – denn ich bin fest überzeugt || daß Anna’s Bildniß nie aus Deiner Gedanken war – Du sahst sie gewiß überall; und nun denke Dir daß irgend ein naturforscherischer Professor Deine Beschreibung irgend einer abscheuliche Spinne zur Hand nimmt, und liest da: Ihr Antlitz ist das eines Engels; ihre süße Augen blicken mir so recht tief ins Herz hinein als sah man den Himmel offen; wenn sie lächelt da ist sie das reizendste Geschöpf, das je unter unter’m Mikroskop gelegen hat – oder so dergleiches. – Und viel besser, fürchte ich, wirst Du es nicht gemacht haben. Laß Dich rathen, und laß alle die Beschreibungen Deiner Forschungen in den Tagen, von einem guten, kaltblütigen, unverliebten Freund revideren und verbessern.

Aber Du wirst denn doch nach Italien reisen? Ich glaube Du hast recht, obgleich die Trennung Dir schwer fallen wird. Nachher gebe der Himmel Dir bald ein Professur, z. B. in Berlin. Und wenn Du auf Deiner Hochzeitsreise nicht nach Holland kommst dann schneide║ ich Dich und Deine Frau (das klingt doch köstlich?) als Vetter und Cousine ab. – Abgemacht! –

Von unserer Reise in Thüringen konnte ich Dir vieles erzählen aber ich liebe die Reisebeschreibungen und deshalb auch das Reisebeschreiben nicht. Wir machten aber eine sehr angenehme Tour hatten im Allgemeinen recht gutes Wetter, und sehr viele Male erinnerte ich mich unsrer damaligen Thüringsche Reise. Vieles hat sich freilich da geändert, aber vieles ist noch immer so wie damals. Trippstein, Paulinzelle ganz dasselbe; letztere habe ich mir wieder einmal gezeichnet. Der alte, biedere Jägersmann auf der Schmücke, der Joël ist zu seinen Vätern versammelt. Die Luther-Buche ist wieder etwas kleiner geworden; man hat ein stattliches sandsteinernes Monument davor gebaut mit Bibelsprüche. Mir gefällt das nicht: die einsame Stelle ohne Schmuck, so wie wir sie damals sahen machte mir einen weit größeren Eindruck: – es war doch noch || ganz so als wie wenn Luther da gesessen und aus den Bach getrunken hat. Nun ist da eine Art kreisförmige Schaussee, und Engländer in Equipagen lassen sich da herum fahren. Der Wartburg ist restaurirt aber noch nicht ganz fertig. Der Rittersaal wird schön werden. Aber da kam ich in die Kapelle wo Luther predigte – Du erinnerst Dich die einfache Kapelle, die eben deßhalb so schön und interessant war, die Gewölbe so gräulich weiß der Boden von ausgeschlissenen Steinen, das Eichenholz von Bänke und Kanzel so schwarz und alt; das alte Gemälde von der Elisabeth deren Brot in Rosen verwandelt war so alt und häßlich und doch schön – Und nun – das alles ist ganz und gar verdorben; die Bänke sind von neuem Eichenholze restaurirt – denke Dir der wahre Bank ist fort, wo der alte dicke Churfürst gesessen und geschlummert hat; und die Wände sind nun – blau mit goldenen Sternen – das Gewölbe ebenso – der Boden sehr nett – abscheulich nett mit || karirten Steinen und den Kansel – Du hast ihn noch beklommen – ist nun schön tapezieret. Ich weiß Gottlob nicht welche Prinzessinn hat ihr eine Schürze, ich glaube von Sammt mit Gold gestickt und die hängt über sie! Als ich es nicht unterlassen konnte an den herumführenden Bedienten dieser Vandalen meinen Aerger über die häßliche Verschönerung auszusprechen, hörte ich: die Wände und das Gewölbe seien nur angeklebt und das sei nur Eisenblech das so gemalt und angeheftet war – eine Art Theatercoulisse also – und man könne die Kapelle auch in ihrer alten Gestalt zeigen. Wahrscheinlich wenn die aller- und nicht allerhöchste Herrschaften die Gnade ruhen zu haben, einen Vergleich zu machen wie viel schöner sie es gemacht haben als sonst. Glücklicherweise ist der klassische Dintenklecks noch nicht angestrichen.

Nun aber muß ich Dir noch tausend mal Dank sagen für die allerliebste Erinnerung an || Oestreich, für die hübsche Pflanzensammlung, die Du uns geschickt hast. Das ist wirklich reizend, und Du glaubst es nicht wie sehr wir darüber uns freuten; besonders weil wir sie meistens zusammen sammelten.

Doch mein Papier geht zu Ende, und doch will ich nicht schließen ohne Dir viele Grüße an Deine Eltern, Braut und den andern lieben Verwandten in Berlin aufzutragen; sage der Tante Bertha wie sehr wir uns gefreut haben, daß sie im Sommer so hat fahren können. Ich möchte so gern wieder einmal in Berlin sein mich mit ihr zu unterhalten, auch mit den Aeltern, und mit Dir. Ich denke im Frühjahr Hauptmann zu werden, und Breda zu verlassen. Wohin – das wissen wir nicht. Schreibe uns noch einmal ehe Du nach Italien reist a und auch von da aus.

Alles was ich hier nun geschrieben, ist auch von Gonne geschrieben. Wo „ich“ steht, da lese „wir“. Sie grüßt also auch Dich und allen unsre Lieben, ebenso herzlich wie

Dein Lodewyk Mulder

a gestr.: oder

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.12.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 24689
ID
24689