Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, [10. Juli 1916]

Dresden-Klotzsche

Bahnhofstr. 8.

Hochgeehrter Herr Professor!

Hatten Sie mich bitte nicht für aufdringlich, daß ich es schon wieder wage, Ihnen zu schreiben.

Schon seit Wochen möchte ich eine kleine Bitte an Sie richten, immer wieder wollt ichs unterdrücken, um Ihnen nicht lästig zu sein, aber der Wunsch wurde nur größer. Kurz heraus! Ich habe die Angewohnheit in kleinen Notizbüchern, Erlebtes, Gedanken, Gedichte u. s. w. niederzuschreiben, so wie es mir gerade einfällt. Das letzte enthält so viel trauriges u. hässliches, wie es halt in den letzten Jahren war u. wie ich es damals aufgefasst. ||

Nun geht es mir nicht aus dem Sinn, wie schön es wäre, wenn ich das nächste kleine Notizbuch aus Ihrer Hand erhalten würde, da Sie es doch waren, der mir das Leben neu geschenkt. Bitte halten Sie mich nicht für abergläubisch ich neige nicht dazu. Der Wunsch ist aus meinen Gedanken hervorgegangen, die ja meist bei Ihnen u. Ihren Werken verweilen, was in unserer heutigen Zeit, wo wir einem so großen Massenmorde rat u. tatlos gegenüberstehen, nicht zu verwundern ist. Ihre Lehre wirkt wol gerade jetzt doppelt auf uns Menschen, das werden viele empfinden.

Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich früher blind gewesen, so anders, so viel deutlicher u. schöner sehe ich jetzt alles. || Vor mir liegt aufgeschlagen Ihre Schlussbetrachtung. Wie schön Sie uns das alles sagen, auf welche einfache natürliche Weise beweißen [!] Sie uns unsere Sterblichkeit.

Und doch – Sie werden dadurch unsterblich! – – – Doch Verzeihung, ich langweile Sie gewiss u. raube Ihnen die kostbare Zeit. Aber wer von uns Menschen ist nicht egoistisch.

– – – – – – – –

Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie, hochverehrter Herr Professor mir bei Gelegenheit meine kleine Bitte erfüllen würden. Und bitte, Sie sind mir nicht bös über die Störung.

Beurteilen Sie bitte das kleine Gedicht nicht zu streng, es kommt aus || übervollem, dankbaren Herzen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihre ganz ergebene

Lissi Nebuschka.

[Beilage siehe EHA Jena, A 23988, Online-ID 23988]

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.07.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 24002
ID
24002