Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Jena, 28. August 1917
Jena 28.8.17.
Hochverehrte, liebe Exzellenz!
Noch scheint mir alles ein schöner Traum zu sein; was hab’ ich alles sagen wollen u. nur ein Gefühl beherrschte mich. Das große Glück, bei Exzellenz zu sein. Diese Stunden wirklich zu erleben.
Wie dank ich Ihnen, Exzellenz, Sie haben mich ganz unmenschlich glücklich gemacht.
Als Abschiedsgrüße aus dem lieben Jena sende ich Exzellenz Ihre Lieblingsblume vom hohen Berg da drübena, u. ein Gedicht, was mir im Abschiedsschmerz nun doch noch einfiel.
„Die Sonne leuchtet auf meinem Pfad
Hinauf zu luftiger Höh’.
Lieb’ Enzian pflück ich auf blumiger Au’;
Wie freue ich mich, daß ichs hier seh’.
Ein wilder Sturm zerzaust mir das Haar
Ich jauchze u. freue mich
Daß ich so selig u. glücklich hier war;
Du Städtle, nun schau’ ich Dich.
– ||
Und suchend erspäh’ ich das liebe Haus
Ach, warum muß ich dich missen
Das Liebste birgst Du, drum hüte es gut,
Medusa, dich tue ich grüßen!
Was ich gesucht in der großen Welt,
Hier fand ichs im lieblichen Tal.
Die ahnende Seele zog mächtig mich her
– Leb wohl nun viel tausendmal.
–
Und leben Sie wohl, liebste, beste Exzellenz.
Was auch im Leben noch für mich kommen mag, es werden diese Stunden u. die ganze herrliche Reise, die ich nach Plänen und im Sinne von Exzellenz genießen durfte, stets meine schönsten Erinnerungen sein u. bleiben.
Es wird mir stets über alles Traurige, was noch kommen wird, weghelfen.
Ich war doch einmal glücklich!
Wie wenig Sterbliche können das sagen.
Ein Tropfen Wermut fließt ja auch mit unter, aber das ist halt so.
Es schmerzt mich, daß ich nur einmal danke sagen kann u. Exzellenz nichts sein darf. || Ich habe das vor einigen Tagen nicht geschrieben, weil ich ohne Stellung bin, nein, ich würde alles, auch die besten Engagements ausschlagen oder verlassen, wenn ich bei Exzellenz sein dürfte u. wären es auch nur Tage oder Wochen. Was ist all der Tant [!], all das Vergängliche u. Halbe, ein Händedruck von Ihnen ist tausendmal mehr. –
Ich will auf die Zukunft hoffen, es muß doch einmal besser werden, u. dann, wenn Exzellenz jemand brauchen sollten, sei es für schöne, oder für traurige Zeit, dann darf ich es sein, die kommen darf.
Exzellenz kennen mich ja nun ein wenig besser als vorher, u. wissen, daß ich mich in alles finden würde.
Doch ich will Exzellenz nicht mehr mit diesem Thema quälen, ich weiß, es kann jetzt nicht sein.
Aber wenn Exzellenz einmal selbst den Wunsch haben, dann vergessen Sie bitte nicht, daß da draußen in der Welt ein Menschenkind ist, daß Sie über alles liebt u. verehrt, u. daß alles liegenließe, nur um Exzellenz dienen zu können, || u. mit aller Kraft ans Leben zu fesseln, noch recht recht lange.
Leben Sie wohl, liebe gute Exzellenz u. ich danke Ihnen tausendmal u. herzlichst für alles. Möchte ein gütiges Geschick es fügen, daß ich es Ihnen diesmal vergelten kann, was Sie mir Gutes u. Liebes getan, und was Sie aus mir gemacht.
Mir dürfen Exzellenz nicht mehr sagen, daß Sie alt sind, jetzt weiß ichs nun bestimmt, alt werden können Exzellenz niemals.
Wie herrlich ist in Ihnen alles vereint, das Wahre, Gute u. Schöne. –
Ich scheide schweren Herzens, doch nun gestärkt u. mit frischem Mut u. der Hoffnung auf ein Wiedersehen.
Möchten meine innigsten Wünsche für die Gesundheit u. das Wohlergehen von Exzellenz sich stets erfüllen, dann werde ich schon zufrieden sein.
Mit größter Hochachtung
Ihre dankbar ergebene
Maria Luise Nebuschka.
a korr. aus: dahinten
[Beilage siehe EHA Jena, A 23993, Online-ID 23993]