Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 19. August 1917

19.8.17.

Dresden-Klotzsche

Bahnhofstr. 8.

Hochverehrte Exzellenz!

Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich besser, was ich von ganzem Herzen wünsche.

Ich wollte mir dann erlauben, am Donnerstag, den 29. des nach Jena zu kommen. Ich würde dann zwischen 4 u. 5 Uhr nachmittags bei Ihnen vorsprechen, wenn Exzellenz erlauben u. wenn ich da nicht störe.

Mein Zug kommt wohl nach 2 Uhr an. Natürlich erwarte ich noch Bescheid von Exzellenz.

Ach, wenn es doch etwas würde, das wäre ja || zu schön.

Mit den besten Wünschen

u. größter Hochachtung

Ihre ganz ergebene, stets dankbare

Maria Luise Nebuschka. ||

Ich muß daran denken zu verdienen, unbedingt. Mein Vater liegt hoffnungslos darnieder, die Ärzte haben ihn längst aufgegeben u. er hinterläßt nur so viel, daß meine Mutter vor den größten Sorgen geschützt ist. Wir dürfen ihr nicht zur Last fallen. Meine kleine Schwester studiert auf Kosten ein Kunstfreundin Gesang u. meine große Schwester ist von jeher das Hausmütterchen u. Mutter unentbehrlich. Die Brüder sind im Felde, im oester [bricht ab]

Mir ist es so schon schrecklich genug, daß ich seit dem Krieg wieder a von meinen Eltern abhänge, wo ich doch schon ganz selbstständig war.

Ich bin niemanden unentbehrlich hier, bin gesund u. kann also arbeiten, was es auch sei. Viel rechnen kann ich nicht, weil ich es hasse, es hat mir schon viel zerstört, || sonst hätte ich ja einen kaufmännischen Kursus durchmachen können wie viele, aber damit würde ich mir keine Stellung machen können. Lieber gehe ich als Hilfe oder Stütze für Haus u. Hof, am liebsten gleich aufs Land, weil ich das gern tue. Käme ich da nun zu kleinlichen Alltagsmenschen, wäre ich sehr unglücklich u. wäre das auch kein Fortschritt, sondern ein moralischer Niedergang für mich. Muß ich mich heute, der Not gehorchend, vom Theater abwenden, so ist das doch dann wie ich wol fühle für immer; denn ich muß auf andere Weise versuchen, mir eine Lebensstellung zu machen, wenigstens darauf hinzielen. Etwas „vorläufiges“, nur für die Zeit des Krieges hat doch hier keinen Zweck; denn – was dann –.

Darum, Exzellenz, ist es doch, oder halte ich || es für das Natürlichste, ich wende mich an Sie, an dessen Lebensanschauungen ich versuche mich aufzubauen. Mein Vertrauen zu Ihnen ist grenzenlos u. unerschütterlich, ich glaube bestimmt, daß Sie mir in dieser traurigen Lebenslage, die wol über jeden einmal kommt, wo er nicht mehr ein u. aus weiß, raten u. helfen können; denn Sie kennen ja mich selbst; das möchte ich gern bleiben. Ich will nicht untergehen in all dem, was ich heute voll Abscheu fliehe.

Sie, hochverehrte Exzellenz werden in Ihrem Kreis sicher jemand finden bei dem ich verdienen, dienen u. lernen kann.

Ich begreife doch leicht u. könnte doch im Anfang mit helfen (neben Hausarbeiten) Tiere u. Pflanzen für Museen u. Schulen herzurichten. Es gibt auf dem Gebiete || doch so herrlich viel zu schaffen, wo der Kopf mit arbeiten darf. Ich kann Ihnen ja garnicht beschreiben, wie sehr ich mich nach geistiger u. körperlicher, überhaupt nach Arbeit u. Lebenszweck sehne. Das ist es ja, was mich so niederdrückt, daß ich momentan zu gar nichts nutze bin. Ich möchte arbeiten, daß ich abends nur so ins Bett falle, nur endlich wieder im Leben stehen, nicht so abseits vegetieren. Das alles, was Sie mir erschlossen sind doch meine Interessen u. ich fände darin auch innere Befriedigung. Später dürfte ich dann auch Vorträge hören u. so gings immer vorwärts, ach, schon der Gedanke daran läßt mein Herz höher schlagen. Nicht wahr, Exzellenz, jetzt verstehen Sie mich doch u. werden mir Ihre Hand || nicht versagen, mich die ersten Schritte zu führen zu neuem, zu Ihrem Leben. Ich brauche sicher kein Geld u. Unterstützung nur Arbeit, diese Arbeit zum leben [!]; denn mein jetziges Leben ist kein Leben zu nennen. Nur Ihre Werke geben mir Kraft u. Mut zu hoffen. Wie gern würde ich mich ganz der Zoologie, Natur-Philosophie u. dem Monismus widmen, in welcher Form es auch sei; soweit halt mein Verstand ausreicht. Wenn ich nur davon umgeben bin u. in dieser Atmosphäre leben darf.

Sie zürnen mir hoffentlich nicht, daß ich es wage so offen mit Ihnen zu reden, aber wem solle ich mich sonst anvertrauen wenn nicht Ihnen? –

Ich denke, daß Sie mir doch so helfen können, wieder festen Fuß zu fassen. ||

Und bitte Sie vergessen es nicht, wie gern ich Ihnen helfen möchte, welch ein Glück es für mich wäre Ihnen in Ihrem Leiden hilfreich beizustehen.

Für Ihren lieben Brief u. das schöne Exlibris sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank, leider habe ich heute keine Gegengabe dafür als meine aufrichtigsten innigsten Wünsche für Ihre baldige vollständige Genesung. Und wenn wieder dunkle Wolken ihr Leben verdüstern wollen, so steigen Sie doch hindurch zu Ihren luftigen, klaren Höhen. Schauen Sie sich, liebe Exzellenz, das Bild von oben an, wie Sie es immer gern getan, so werden Sie erkennen, wie viele Menschenkinder in großer, tiefer Liebe an Ihnen hängen u. Ihnen vertrauen, wiegt das nicht vieles auf. ||

Möchte Sie diese Liebe täglich neu an das Leben fesseln u. alle Gedanken an den Tod auslöschen.

Ich wünsche mir sehr bald Gutes von Ihnen zu hören

und bin

mit größter Hochachtung

Ihre ganz ergebene

stets dankbare

Maria Luise Nebuschka.

a gestr.: auf die

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
19.08.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23996
ID
23996