Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 17. Juli 1916

[Brieffragment]

Dresden-Klotzsche 17. Juli 16.

Bahnhofstr. 8.

Hochgeehrter Herr Professor!

Sie haben mich wirklich beschämt u. zugleich stolz u. glücklich gemacht. – Wenn ich mir jetzt überlege, was hätte ich wol in das Notizbuch aus Ihrer Hand schreiben sollen? Meine Nichtigkeiten? – Nein, es wäre unmöglich! – Nun müssen Sie sich, verehrter Herr Professor, auch nicht ein sogenanntes Tagebuch vorstellen, ich mache nur ab u. zu kleine Notizen z. B. wenn mir das Datum eines Erlebnisses wichtig erscheint, oder wenn mir des Nachts oder in freier Natur irgend ein kleines Gedicht oder die Idee zu einer Geschichte (Schauspiel) beifällt. Da muß ich hier zur Erklärung hinzufügen, || daß ich längere Zeit auf Reisen für Kinoaufnahmen gemimt habe, bei denen ich die Ideen meist selbst erfand. Ich hatte damals den guten Vorsatz, mitzuhelfen, den Film (das lebende Bild) auch in Deutschland auf eine künstlerische Stufe zu bringen, um das bessere u. denkende Publikum heranzuziehen u. dem Volk Sinn für das wirklich Schöne beizubringen. Leider brach damals in der Blüte alles zusammen; der leidige Geldmarkt erstickte mal wieder alles im Keim.

– Ich wollte damals Naturaufnahmen in allen Ländern Europas (besonders südlichen) mit Menschenschicksalen heiter u. traurig, oder Märchen u. Sagen im Milieu des Landes, verbunden zu Bild bringen. An Ideen fehlte es nie, aber gerade das war besonders in Deutschland || nicht ausführbar, da kein Geld u. nur materielles, kein künstlerisches Interesse u. Verständnis vorhanden sind. – Traurig, aber wahr! – Aber auch über diese Enttäuschung haben Sie mir geholfen. Ich kann sie jetzt nur noch bemitleiden, diese armen Menschen, die keine Menschen mehr sind, nur Maschinen.

Gell, es interessiert Sie, verehrter Herr Professor, sicher ein wenig, da Sie ja, wie ich aus der Einleitung „Natur u. Mensch“ erfuhr, auch Künstler sind. –

Sehen Sie, das ist ja gerade das Schöne, daß ich Sie so ganz allein kennen lerne, ohne jeden Einfluss durch andere Menschen. – Sie sind selbst zu mir gekommen in meine Einsamkeit u. darum bin ich eins von den glücklichen Menschenkindern || geworden, die Ihre großen Worte nicht nur lesen, sondern vor allem empfinden und verstehen.

Wie hoch stehen Sie über Ihren Leiden! Schon jetzt kann ich mit vollster Überzeugung mit C. W. Neumann sagen: „Das höchste Glück der Erdenkinder hat er erreicht u. gewährt.“– Wie überaus glücklich Sie machen können, das habe ich ja an mir selbst erfahren. Herr Professor, wie kann ich Ihnen denn das alles jemals danken! Eins Ihrer Werke aus Ihrer Hand, die schönen sinnreichen Karten u. Ihre herzlichen Worte. – Ist das nicht zu viel des Glückes auf einmal? – Aber nein ich will nicht wieder zaghaft werden.

[bricht ab]

[Beilagen siehe EHA Jena, A 23983 u. 23989; Online-ID 23983/23989]

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
17.07.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23986
ID
23986