Nebuschka, Marie Luise

Marie Luise Nebuschka an Ernst Haeckel, Dresden, 6. Juni 1916

6.6.1916.

Dresden-Klotzsche

Bahnhofstr. 8.

Hochgeehrter Herr Professor!

Leere Worte können nicht sagen, wie überglücklich mich Ihre lieben Zeilen u. Ihr Bild gemacht haben.

Ich kann Ihnen nur danken u. immer wieder danken für Ihre große Güte, die Sie mir zu teil werden ließen. –

Als ich das erste Mal, vor fast einem Jahr in Ihren „Welträtseln“ las, war mir, wie es wol einem Gefangenen in dunkler Zelle sein muß, wenn nach langer Zeit der erste Lichtstrahl hereinfällt. –

Ich habe mich dann oft recht geschämt über meinen Lebensüberdruß u. meine Verzweiflung, der ich mich ganz hingegeben hatte. ||

Aber von da an ging es endlich wieder dem Leben zu. Einem neuen, einem schönerem Leben, dessen ganze Wahrheit Sie mir erschlossen haben.

- - Und wenn ich dann abends bis in den Schlaf über all das Schöne u. doch so natürliche nachdenke, dann ist es mir, als würde ich in einen schönen Garten geführt. – Und dort steht ganz hoch ein großer, gesunder u. schöner Baum, (das sind Sie) u. unter diesem viel tausend kleine, die diesem großen ähnlich sind, seine Früchte. Und zwischen diesen, angefressene, kranke Bäumchen (seine Feinde) die den gesunden gern schaden möchten u. ihre Würmer an sie herankriechen lassen.

Aber der Große, Starke lächelt nur, das befreiende erlösende Lächeln des reinen Gewissens; denn er will ja nur das Gute, Wahre u. Schöne. ||

Was könnten ihm u. seinen Anhängern das kleine, hässliche Gewürm schaden.

Er steht ja so hoch u. frei über ihnen, gewappnet gegen jeden Sturm, u. wir kleinere schauen zu ihm auf voll Ehrfurcht u. Bewunderung, tiefe Dankbarkeit im Herzen; denn er hat uns die Welt offenbart, wie sie ist u. war u. sein wird, u. uns dadurch unser kleines kurzes Dasein lebenswert gemacht. – –

Ich bin ja nun wol eins von den kleinsten Bäumchen in seinem Garten u. schaue noch ganz von fern, aber doch mit der größten Sehnsucht, diesem großen Wohlthäter der Menschheit nahe zu kommen u. ihn reden zu hören. – Und da kommt mir, gerade jetzt das kleine Volkslied in den Sinn: „Wenn ich ein Vöglein wär“ – ja wenn – dann dürfte ich mich wol in seine Zweige setzen u. seinen Reden lauschen, aber so – || So bin ich halt nur ein kleines, armes Menschenkind von Alltag u. Kleinlichkeit umgeben, mit Wünschen u. Fragen. –

Warum bin ich kein Mann, warum darf ich nicht als Ihr Diener in Ihrer Nähe sein, Sie reden hören, die Stätten Ihres Wirkens u. Schaffens kennen lernen, in die Welt hinaus an Ihrer Seite – nein, nun Schluß. Verzeihen Sie mein Schwatzen, aber mein Herz ist so übervoll u. hier gibt es niemand, dem ich mich mitteilen könnte. Ich hab es einmal versucht u. da kam mir all das Schöne wie mit Schmutz beworfen vor. – Ich tue es seither nicht so schnell. Das was ich mir durch Sie errungen habe, soll mir stets das Höchste u. Heiligste sein. – –

Für Ihre aufrichtigen Wünsche für meine Zukunft meinen allerherzlichsten Dank. ||

Es ist ja kein Traum, es ist Wirklichkeit. Das die so schön sein kann! – – – –

– Mehr von Ihren Werken zu besitzen, war ja schon lang ein geheimer Wunsch von mir. Leider kann ich mir nichts beschaffen, da es mir an Mitteln fehlt.

Sie selbst um einiges, besonders erwünschtes zu bitten, hätte ich allerdings niemals gewagt.

Und nun senden Sie mir eins von selbst. Ja, bin ich denn so viel Glück wert? – Mit leeren Worten kann ich Ihnen nicht ausdrücken, wie unendlich glücklich u. stolz Sie mich gemacht.

Könnten Sie mir in die Augen, ins Herz schauen, es sagte Ihnen mehr als alle Worte. || Da das aber leider nicht der Fall ist, kann ich Ihnen nur danken u. abermals danken für Ihre große Güte, für Ihre warmen, erlösenden Sonnenstrahlen mit denen Sie uns arme Sterbliche täglich u. stündlich erquicken.

– – – – – – –

Da Sie das schöne Land Italia auch so sehr lieben, erlaube ich mir eine Karte, noch aus Amalfi aus meiner glücklichsten Zeit mit einem kleinen Gedicht von mir beizulegen, daß mir im vorigen Sommer unter blühenden Akatienbäumen bei Posen, einfiel.

Die anderen Bilder sind Aufnahmen u. Filmpositivs aus meiner Kinozeit. Hoffentlich langweile ich Sie nicht damit. Aber weil ich Ihnen davon gesprochen habe, denk ich, daß Sie einige Bilder dazu || interessieren werden. – – –

So, und nun werde ich mich in Ihr Werk „Natur u. Mensch“ u. in die Thesen zur Organisation des Monismus vertiefen.

Verzeihen Sie bitte mein langes Schreiben ich bin halt nur ein weibliches Wesen.

Mit größter Hochachtung

bin ich Ihre stets dankbare

ganz ergebene

Lissi Nebuschka.

[Beilage 4 Photographien: Nebuschka mit Filmpartnerin auf Heuwiese bei Garmisch (Oberbayern), Nebuschka mit Filmpartner am Badersee; Nebuschka winkt von Brücke in Partnachklamm; Nebuschka mit Filmpartner in der Felswand der Höllentalklamm bei Garmisch]

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.06.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23981
ID
23981