Osterwald, Wilhelm

Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Mühlhausen, 1. Juni 1867

Mühlhausen i. Th. den 1 Juni 67.

Lieber Ernst,

In aller Eile antworte ich Dir auf Deinen Brief, daß ich Deine generelle Morphologie der Organismen nicht erhalten habe, daß ich mich aber über deren Zusendung eben so herzlich freuen würde, als über jedes Zeichen Deines Lebens und Wirkens, das mir von Dir zukommt. Ich rechne die Zeit, in der ich Dich und Deine Altersgenossen in Prima vor mir hatte, zu meinen glücklichsten Lehrerjahren und in specie bist Du noch heute in vielen Beziehungen der Maßstab, den ich an die Beurtheilung meiner Primaner anlege. Mir selbst ist’s hier in allen wesentlichen Dingen recht gut gegangen und fast Alles, was ich angegriffen habe, ist mir über alles Erwarten gelungen; das Verhältniß zumal zu meinen Schülern läßt kaum etwas zu wünschen übrig.

Hast Du mein vorjähriges Programm erhalten? Ich habe es meinem Mühlhäuser Mulus, der noch in Jena studiert (Stephan) damals für Dich mitgegeben. Das diesjährige schicke ich Dir unter Kreuzband gleich mit. Was ich sonst habe drucken lassen, bringe ich Dir am zweckmäßigsten persönlich nach Jena, wohin ich, wenn irgend möglich, Deiner freundlichen Einladung im Juli folgen werde. Grüße auf’s herzlichste Deine Eltern u. Deinen Bruder. Frau u. Kinder grüßen mit mir. Meine Frau hat sich hier – wo es vor altreichstädtisch sein sollender in Wahrheit aber abderitischer Familiencliquerei nicht zu einem freien geist- und gemüthvollen Familienverkehr kommen will – noch nicht so acclimatisiren können, als ich; die Kinder wachsen heran, Karl hält seine Leidenschaft für Naturwissenschaft treu u. fest und sieht aus scheuer Ferne auf Dich verehrungsvoll als sein leuchtendes Vorbild. Wenn’s geht, bring ich den nicht üblen Jungen mit. Dein Reisebericht soll mir besondere Feststunden bereiten.

In alter Liebe

Dein W. Osterwald.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.06.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 23803
ID
23803