Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Grossbothen, 8. Mai 1914
WILHELM OSTWALD
GROSS-BOTHEN, DEN 8.5.1914
LANDHAUS ENERGIE
Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel, Exc. Jena
Lieber und verehrter Freund
Riess, Hamburg, schickte mir die Korrespondenz, die er in letzter Zeit mit Ihnen wegen der Ernst-Haeckel-Stiftung für Monismus gehabt hat, mit der Bitte, sie weiter zu behandeln.
Er hat offenbar vor lauter Verehrung Ihnen gegenüber nicht den Mut, seinen abweichenden
Standpunkt bezüglich der Verwendung der gesammelten Gelder zum Ausdruck zu bringen. Auch mir ist es peinlich, mit Ihnen in dieser Beziehung nicht von vorneherein gleicher Meinung sein zu können, und ich hoffe von Herzen, dass es mir gelingen wird, Sie von der Gerechtigkeit des Standpunktes zu überzeugen, den Riess und ich in dieser Sache einnehmen. Die öffentlich gesammelten Gelder für den Haeckel-Schatz für Monismus sind ausdrücklich unter diesem Titel und mit dem Hinweis gesammelt worden, dass sie dem Deutschen Monistenbunde zur Ver-||fügung gestellt werden sollen. Dies geht sowohl aus dem von Ihnen verfassten Text des allgemeinen Aufrufes hervor, wie auch aus den erläuternden Worten, die Sie in der Breitenbachschen Zeitschrift veröffentlicht haben. Mir scheint also der Öffentlichkeit gegenüber eine Verpflichtung zu bestehen, die Gelder auch dem Zwecke zuzuführen, für den sie gesammelt worden sind, so dass eine nachträgliche Änderung des Zweckes selbst von Ihnen als denjenigen, auf dessen Namen die Stiftung gemacht ist, mit Erfolg juristisch angefochten werden könnte. Dies ist die formale Seite der Frage.*
Hierzu kommt noch die materiale. Für Ihre andern grossartigen Stiftungen in Jena haben Sie sehr bedeutende Summen in Bewegung zu setzen gewusst.
Ich habe die Zahlen nicht zur Hand, aber ich glaube mich nicht zu irren, dass es sich um eine halbe oder ganze Million handelt, wenn alles zusammengefasst wird, was durch Ihre Hand zur Förderung des wissenschaftlichen Entwicklungsgedankens gegangen ist. Demgegenüber sind die finanziellen Hilfen, welche Ihre andere Schöpfung, der Deutsche Monisten-||bund erfahren hat, verschwindend gering, so gering, dass der Bund sich eine Menge Arbeit versagen muss, die er unter andern Umständen tun könnte, falls ihm die Mittel dazu reichlicher zur Verfügung ständen. Wenn Sie die ausgesprochene Absicht, die Hälfte der gesammelten Summen des Ernst-Haeckel-Schatzes für jene bereits so reich unterstützten Zwecke in Anspruch zu nehmen, ausführen, so würden Sie dadurch dem Deutschen Monistenbunde gerade in einer Zeit intensivster Arbeit und erfreulichster Entwicklungsmöglichkeit eine Portion des Blutes oder der Energie entziehen, die er so dringend für seine Arbeiten braucht. Mir scheint deshalb, dass der Bund bis auf den Betrag von 15000 M, den Herr Knaupp Ihnen direkt zugeschickt hat, gerechten Anspruch auf den ganzen übrigen Ertrag der Sammlung zum Ernst-Haeckel-Schatz für Monismus hat. Und auch jene Stiftung Knaupps würde ich, ehrlich gesagt, in den Händen des D.M.B. als besser angelegt betrachten, da er wirklich augenblicklich in der Lage || ist, als Ernte von seinem Feld jede Düngung, die er empfängt mit einem vielfachen Ertrage zu verwerten. Ich hoffe zuversichtlich, lieber und verehrter Freund, dass Sie mir diese offenen Worte nicht verübeln werden, und bleibe
Ihr ganz ergebener
W Ostwald
*Einer Vereinbarung, dass nur die Hälfte des Ertrages dem D.M.B. zugewendet werden soll, kann weder Riess noch ich mich erinnern. Sie wäre auch im Widerspruch zum Wortlaut und Inhalt des Aufrufes.