Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Grossbothen, 13. Februar 1914
WILHELM OSTWALD
GROSS-BOTHEN, DEN 13. Febr. 1914
LANDHAUS ENERGIE
Lieber und verehrter Freund:
Es ist mir ein grosses Stück Lebensfreude, dass ich Ihnen zu Ihrem achtzigsten Geburtstage
als einer nahen darf, dessen herzlicher Glückwunsch auf eine Resonanz in Ihrem Gemüt
rechnen darf. Ist mir doch bei meinen Vorbereitungen auf die Aufsätze und Vorträge zu dem bevorstehenden Festtage (Berl.-Tagebl., Wiener Neue Freie Presse, Mon. Jahrhundert, Vorträge Berlin und Hamburg) eigentlich zum ersten Male ganz aufgegangen, welche
ungeheure Summe von Arbeit und Wirkung, von Leid und Verfolgung und glorreicher Überwindung durch monistisches Denken und Leben in Ihren achtzig Jahren sich zusammengebunden || findet! Und dass dieser Kämpfer und Sieger über inneres Leid und äussere Gegnerschaft schliesslich mir das Werk anvertraut hat, für dessen Begründung ihm die Menschheit zu dauerndem Dank verpflichtet bleiben wird, betrachte ich als den reichsten Gewinn, der mir für den Schlussteil meines Lebens hat werden können.
Ich hoffe, Ihnen alles dies auch noch persönlich zum Ausdruck bringen zu dürfen, wenn ich in den letzten Tagen des Februar (ich kehre erst am 23. oder 24. von Kopenhagen zurück, wo ich ausgiebige Arbeit in unserem Sinne zu tun habe) bei Ihnen in Jena anklopfe, um Ihnen noch ein || besonderes Geburtstagsgeschenk zu überreichen, von dem ich sicher bin, dass es Ihnen eine dauernde Freude bereiten wird.
Es ist wunderlich, dass sich unsere Lebenswege erst in so vorgeschrittenem Alter gekreuzt und doch alsbald zu einem Verhältnis geführt haben, wie es sonst nur der gefühlsraschen
Jugend vorbehalten zu sein pflegt. Aber das wird wohl auch am Monismus liegen.
Mit den herzlichsten Wünschen und Grüssen, auch im Namen des Deutschen Monistenbundes, bin ich
Ihr ganz ergebener
W Ostwald