Ostwald, Wilhelm; Böttlin

Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, „Auf See“, 4. Dezember 1912

Dr. Wilh. Ostwald

Gross-Bothen, Kgr. Sachsen

Landhaus Energie

4. Dez. 1912

Lieber und verehrter Freund:

Ich schreibe diesen Gruss zum Abschluss einer zweimonatigen Erholungsreise nach Teneriffa,

auf der ich überall Ihren Spuren begegnet bin. Zunächst erzählte mir in Orotavo, wo ich die längste Zeit gewesen bin, Kollege Hertwig mancherlei von Ihren gemeinsamen Erlebnissen. Dann sprach der Kapitän des Schiffes Windhuk, auf dem ich gegenwärtig die Heimreise mache, von den Kap-Santos-Kaninchen und Ihrem Bericht darüber wie von einer allgemein bekannten Sache; zu meiner Schande musste ich bekennen, nichts davon zu wissen. Und endlich sitze ich bei Tische neben einem Hauptmann v. Botlin von der Westafrikanischen Schutztruppe (der eben einige hundert Mann nach Lüderitzbucht gebracht hatte), der || mir erzählte, dass Ihre Welträtsel unter den Offizieren in Südwestafrika so verbreitet sind, das sie die Südwestafrikanische Bibel genannt würden.

Er selbst habe sich das Buch 4 oder 5 mal gekauft, da er es nie zurückbekommen hat, wenn

er es ausgeliehen hatte. So dauert Ihre Wirkung auf die Zeitgenossen und die folgende Generation ungeschwächt an, denn jeder von diesen, die das Buch gelesen und schätzen gelernt haben, sorgt für die Weiterverbreitung. Auch in den Schiffsbibliotheken ist es

ziemlich regelmässig zu finden.

Ich selbst habe in dieser Zeit für unsere Sache nichts tun können, wenn ich nicht meine

vollkommene Enthaltung von aller geistigen Arbeit (die mich nicht die geringste Anstrengung

gekostet hat) zum Zweck besserer Leistungsfähigkeit || für die nächsten Monate (Jahre wage ich nicht mehr zu sagen) in solchem Sinne rechnen will. Ich fühlte mich kurz nach meinem letzten Besuch bei Ihnen so ausgepumpt, dass ich alles stehen und liegen liess und die letzten vorhandenen Energieen dazu benutzte, um das nötige für diese Reise zu tun.

Meine Tochter Margarete, die Sie damals kennen gelernt haben, begleitete mich und hat

ausgezeichnet für mich gesorgt. Wir haben in Orotava nichts getan, als gebummelt, gebadet,

gemalt und photographiert und damit 5 Wochen unvermerkt durchgebracht. Ob der Zweck der Energiesammlung erreicht ist, wird sich erweisen, wenn ich mich zuhause durch den Berg der inzwischen eingelaufenen Briefe und Drucksachen hindurchessen muss.

Wie es Ihnen geht und wieweit insbesondere Sie Ihre Selbstbiographie gefördert haben, wüsste ich gern. Ich hoffe auf eine Zeile von Ihnen nach meiner Heimkehr, da ich nicht absehen kann, wann ich persönlich wieder bei Ihnen vorzusprechen im Stande sein werde.

Am Sonnabend den 7. Dez. gedenke ich in Grossbothen einzutreffen, falls nicht Nebel unsere

(bisher sehr günstige ) Fahrt stören.

Mit den herzlichsten Grüssen

Ihr ganz ergebener

W Ostwald

Ein begeisterter Verehrer Ihrer „Welträtsel“, der seit 12 Jahren diesseits und jenseits des

Aequators für die afrikanische Bibel Propaganda gemacht hat, sendet Euer Exzellenz respektvollen Gruß.

Bottlin

Hauptmann im Reichskolonialamt. ||

Herrn Prof. Dr. E. Haeckel

Exc.

Jena

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.12.1912
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23770
ID
23770