Ostwald, Wilhelm

Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Grossbothen, 21. Dezember 1915

WILHELM OSTWALD

GROSS-BOTHEN, DEN 21. Dez. 1915

LANDHAUS ENERGIE

Lieber und verehrter Freund:

Schon oft hatte ich mich mit Sorgen gefragt, wie es Ihnen wohl gehen möchte, zumal Ihre

letzte Nachricht vor einigen Monaten nichts weniger als befriedigend war. Nun zeigt mir Ihr schönes Buch, dass Ihre unverwüstliche Natur auch mit dem vielen Schweren fertig geworden ist, was der grauenhafte Weltkrieg den natürlichen Lasten der Jahre zugefügt hat.

Haben Sie herzlichsten Dank für diese erquickende Sendung, vor allem für die lieben und

schönen Worte, die Sie auf das Titelblatt geschrieben haben. Sie werden mir eine Mahnung sein, im künftigen Frieden den Dienst an unserer gemeinsamen Aufgabe nicht zu versäumen.

Inzwischen geht freilich der Bund in einen Puppenzustand mit höchst reduzierten || Stoff- und Energiewechsel über, da Mitgliedbeiträge kaum mehr einlaufen wollen und gleichzeitig tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten wie bei den Sozialdemokraten die Gesamtheit spalten. Es wäre unzweckmässig, diese Dinge jetzt zum Austrag bringen zu wollen, und so ist es das beste, abzuwarten.

Inzwischen habe ich mich mit allem Eifer an die Arbeit unseres Altmeisters Goethe gemacht

und mit Hilfe der rund 100 Jahre wissenschaftlicher Entwicklung seitdem die Farbenlehre neu aufgenommen. Seit rund einer Woche darf ich sagen, dass ich das Problem eines absoluten Systems der Farben (absolut im physikalischen Sinne) vollständig gelöst habe, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch experimentell soweit, dass ich alle entscheidenden Punkte durch vielfach wiederholte Versuche kontroliert und sichergestellt habe. Demnächst schicke || ich Ihnen meine erste summarische Veröffentlichung darüber, der man freilich nicht ansieht, wie viel tausend Blatt Papier ich mit Farbe überzogen und untersucht habe.

Ferner hat mein Sohn Walter, der sich seinerzeit Ihnen persönlich hat vorstellen dürfen, eine Erfindung gemacht, welche den ins Riesenhafte gestigenen Stickstoffbedarf unserer Heeresverwaltung für Sprengstoffe sicherstellt. Dies bedeutet im Verein mit einer alten Erfindung von mir (Salpetersäure aus Ammoniak), die ich vor 15 Jahren ausdrücklich zu dem Zweck gemacht habe, dass die Engländer uns nicht durch das Abschneiden der Salpeterzufuhr aus Chile wehrlos machen können, die vollständige Sicherung Deutschlands bezüglich seines enormen Munitionsbedarfs, und damit die Ersparnis ungezählter Menschenleben auf unserer Seite. Die Angelegenheit nimmt mich auch äusserlich durch Beratung, Reisen und dergl. in || Anspruch. Mir ist es eine nicht geringe Genugtuung, dass dergestalt zwei Monisten das deutsche Volk in seinem schwersten Kriege gerettet haben und retten werden.

So bin ich nicht ganz sicher, ob nicht diese Sache, die eben in besonders kritischer Lage ist

und nötigenfalls augenblickliches Zuspringen erfordert, mich verhindern wird, Sie in Leipzig aufzusuchen. Sollte ich es irgendwie möglich machen können, so werde ich es mir nicht versagen, Haydnstr. 20 vorzusprechen, und zwar voraussichtlich am 26. Dez. nachmittag

etwa um ½5.

Also auf Wiedersehen!

Mit vielen herzlichen Grüssen und Wünschen

Ihr ergebener

W Ostwald

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
21.12.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23745
ID
23745